Das Raunen am vergangenen Freitag war weit über die Grenzen der queeren Clubszene vernehmbar: Deutschlands ältester queerer Club, das Berliner SchwuZ, hat Insolvenz angemeldet. Diese Nachricht liest sich vordergründig wie ein weiteres Kapitel im nicht enden wollenden Buch mit dem Titel „Clubsterben”.
An dieser Erzählung beteiligt sich auch SchwuZ-Geschäftsführerin Katja Jäger, die als Gründe für die wirtschaftliche Krise im B.Z.-Interview „Folgen der Inflation, gestiegene Betriebskosten und verändertes Ausgehverhalten” angibt.
Wenn man sich aber in den Kommentarspalten unter dem SchwuZ-Post zur Insolvenz oder in der Szene umhört, treten andere, tiefergehende Gründe zutage. Es entsteht ein Bild von einem Club, der eine große Planlosigkeit an den Tag legt, wenn es um ein stimmiges Clubkonzept geht, das in der aktuellen Lage funktioniert.
Eine Zuordnung von Schuld soll hier nicht stattfinden, auch, weil ein Club immer aus vielen Gründen scheitert, für die die Akteur:innen nur zum Teil Verantwortung tragen. Katja Jäger ist erst seit März 2025 Geschäftsführerin des SchwuZ und hat in dieser Zeit vor allem mit umstrittenen Sparmaßnahmen von sich reden gemacht. Davor waren Marcel Weber und Florian Winkler-Schwarz an der Spitze des Clubs. Winkler-Schwarz äußert gegenüber dem rbb, dass der Club bis 2023 wirtschaftlich stabil geführt worden sei. Das Stadtmagazin Siegessäule beruft sich in seinen Recherchen wiederum auf unstimmige Zahlen, die die neue Geschäftsführerin bei Antritt vorgefunden hat.
Stimmen die Zahlen?
„Erst nach tiefergehender Prüfung durch die neue Geschäftsführung zeigte sich, dass diese Zahlen in Teilen nicht stimmig waren“, ergab eine Untersuchung der Controlling-Daten von 2024. „Gab es methodische Mängel bei der Erhebung dieser Daten? Oder wurden hier Daten manipuliert, geschönt?”, fragt die Siegessäule deshalb. Um die drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden, die jetzt bevorsteht, wurde rund ein Drittel der Belegschaft entlassen, Garderoben durch Spinde ersetzt und Prozesse durch KI rationalisiert.

Mit diesen schmerzhaften Maßnahmen lässt sich aber noch kein nachhaltig tragfähiger Betrieb sicherstellen. Eine Schraube, an der gedreht werden musste, sind die Preise, die Anlass für kontroverse Diskussionen auf Social Media sind. Der Hauptkritikpunkt wird von User simon_prodomo zusammengefasst: „Eintrittspreise jenseits der 20 Euro und höhere Getränkepreise. Sowas vertreibt einem eben die Stammkundschaft. Ich kann es verstehen, wenn die Gäste immer weniger und weniger werden.”
Die Kosten halten dem Vergleich mit anderen Clubs genauso wenig stand wie die Öffnungszeiten. Das SchwuZ schließt häufig um 6 Uhr morgens, andere Clubs sind da mitten in ihrer Betriebszeit. Der nachvollziehbare Eindruck vieler User:innen ist, dass man im SchwuZ weniger Zeit im Club für vergleichsweise viel Geld bekommt.
Auch die Musikauswahl ist ein Grund für viele Personen, den Club nicht mehr zu besuchen. Auf Social Media ist viel von der immer gleichen Popmusik zu lesen, bei der einzelne Songs an einem Abend mehrmals gespielt werden. Der User callhimzack schreibt: „Ihr spielt die gleiche Playlist seit 2017!? Euphoria-Barbie Girl-Single Ladies-We Found Love …. Ich liebe das SchwuZ, aber genau deswegen gehe ich nicht mehr hin.” So gut wie alle Club-Events in den kommenden zwei Monaten haben einen expliziten Pop- oder Schlager-Fokus, elektronische Musik wird häufig nur am Rand erwähnt.
Durch das Berghain und Partyreihen wie Homopatik, Cocktail D’Amore, Herrensauna, Gegen, Lecken, Femme Bass Mafia und viele andere hat aber elektronische Musik, auch und vor allem in der queeren Community, an Relevanz gewonnen. Eine Chance auf die Erschließung einer neuen Zielgruppe, auf die man zwar mit Umzug vom Mehringdamm in Kreuzberg ins jüngere Neukölln schielt, deren musikalische Vorlieben aber kaum befriedigt werden.
Die junge Zielgruppe
Ein letzter Kritikpunkt auf Social Media: eine als einseitig wahrgenommene Positionierung für Israel im Nahost-Konflikt. So wird in Kommentaren erwähnt, dass Personen, die als pro-palästinensisch zu erkennen sind, an der Tür abgewiesen werden. User seiflotfy sagt, das SchwuZ „hätte seine Plattform nutzen können, um auf das Leid in Gaza aufmerksam zu machen – stattdessen fühlte es sich eher wie Gaslighting an. Pro-palästinensische Gäste und Künstler:innen wurden schikaniert, T-Shirts hinterfragt, Statements unterdrückt. Seitdem sie sich so klar gegen Palästina positioniert haben, war für mich Schluss.” Die Türpolitik im Allgemeinen ist aber nach Erfahrung vieler Personen strenger geworden, auch ältere Personen oder Menschen mit Behinderung fühlen sich ungerecht behandelt.

An diesem Punkt stellt sich mit einer gewissen Vehemenz die Frage, welche Zielgruppe das SchwuZ eigentlich ansprechen möchte. Die bisherige Positionierung als Club mit konventionellen Maßstäben, was Musikauswahl und Türpolitik angeht, scheint wirtschaftlich nicht mehr tragbar. Ohne tiefergehende Änderungen werden aber neue, jüngere Zielgruppen, denen Aktivismus und elektronische Musik mehr am Herzen liegen, nicht erschlossen.
In der Ankündigung zur Insolvenz gibt sich das SchwuZ kämpferisch: Wer den Fortbestand des Clubs unterstützen möchte, solle wiederkommen, am besten die Abokarte „SchwuZ Unlimited” kaufen. Ob das klappt? Vor drei Monaten startete das SchwuZ eine Crowdfunding-Kampagne, mit der die Infrastruktur des Clubs so umgebaut werden kann, dass dieser Bereich weniger Geld benötigt. Den ursprünglich anvisierten 150.000 Euro stehen bemitleidenswerte 3.200 Euro gegenüber, die tatsächlich gespendet wurden.