James Holden und Wacław Zimpel, auch bekannt als Synthesizer-Zauberer und Klarinetten-Guru, sind als Musiker zweier verschiedener Welten ein beispielloses Duo.
Holden ist eine zentrale Figur der Clubmusik, mit seinem Neo-Trance-Sound war er eine der prägenden Figuren der Zweitausender. Wacław Zimpel ist einer der einflussreichsten Jazzmusiker seiner Generation, der ebenso durch sein virtuoses Klarinettenspiel hervorsticht wie durch freigeistige Improvisation.
In unserem Gespräch mit den beiden, das zur Veröffentlichung ihres Debütalbums [zur Review kommt ihr hier] stattgefunden hat, versuchen Alexis Waltz und Katharina Pittack herauszufinden, was die beiden zu einem so beliebten und erfolgreichen Duo macht. Die beiden bestens aufgelegten Musiker erklären im Videocall, inwiefern ihre fremden Welten Teil eines gemeinsamen Kosmos sind – und warum zu einer gelungenen Improvisation manchmal auch eine umgeworfene Tasse Tee gehört.
GROOVE: Euer neues Album heißt The Universe will take care of you, wie seid ihr auf den Namen gekommen?
Wacław Zimpel: Wir hatten eine richtig schöne Listening-Session, nachdem wir mit dem Album fertig waren. Wir haben ein Brainstorming mit vielen Ideen gemacht, und alle auf Papier gebracht. Am Ende hat sich alles irgendwie zusammengefügt.
James Holden: Das war dieses Mal wirklich einfach. Wir dachten uns gleich: „Ja, das ist perfekt.” Und jetzt müssen wir uns mit Leuten rumschlagen, die uns für Hippies halten – und ja, das sind wir auch. (lacht) Ein Freund von mir trennt sich gerade von seinem:r Partner:in. Ich habe ihm erzählt, wie mein neues Album heißt, The Universe Will Take Care of You. Er meinte: „Nein.” (grinst)

Aber genau das ist ja das Gute daran, es ist ein Widerspruch, der zum Nachdenken anregt: „Ok, das Universum kümmert sich nicht mehr um mich! Aber wer dann? Dein Umfeld oder wer oder was auch immer – die sind ja auch Teil des Universums. Das ist ein Widerspruch, aber zugleich auch die Wahrheit. Im Grunde heißt es: Du musst dich um andere kümmern, und andere müssen sich um dich kümmern. Das ist vielleicht die reinste Form von Weiterentwicklung und Wachstum. Das ist die Philosophie, die dahintersteckt.
Zimpel: Und ich denke, dass es noch eine weitere Ebene gibt. Das Erleben von Musik kann man nicht messen und auch nicht wirklich kommerzialisieren. Für mich als Hörer ist es oft so, dass mich die Musik durch schwierige Zeiten trägt. Und wahrscheinlich ist das auch unsere Absicht: den Menschen Musik zu geben, die hoffentlich genau diese Energie weitergibt.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, das Album zu machen? Ihr arbeitet schon länger zusammen, vor fünf Jahren ist eine EP entstanden.
Holden: Jedes Mal, wenn wir die Gelegenheit hatten, zusammen aufzutreten oder Zeit im Studio zu verbringen, hatte ich das Gefühl, dass ich das auf jeden Fall machen will. So eine Zusammenarbeit habe ich noch nie erlebt. Es macht mir einfach Spaß, es kommt etwas aus mir heraus, mit dem ich so gar nicht gerechnet habe. Normalerweise bin ich ziemlich verschlossen, wenn es darum geht, andere in meine Welt zu lassen. Hier war ich mir sicher, dass ich das will.
Zimpel: Das war plötzlich einfach da – das Gefühl, dass wir wirklich gerne zusammen spielen. Es macht richtig Spaß, gemeinsam etwas zu erschaffen. Und irgendwie kommt im Studio am Ende immer etwas raus, das wir mögen.
Holden: Ja, jedes Mal.

Wie verändert sich eure Dynamik, wenn ihr alleine oder gemeinsam Musik macht?
Holden: Wenn ich alleine Musik mache, ist das für mich wie eine eigene Welt oder eine eigene Realität. Meistens mache ich aber den Computer nach einer Stunde wieder zu, ohne irgendwas gespeichert zu haben.
„Wir kommen oft mit fast nichts ins Studio, ganz entspannt, mit diesem Gefühl von nichts. Aber gerade in diesem Nichts ist alles möglich.”
James Holden
Aus Versehen oder weil du nicht zufrieden bist?
Holden: Wenn wir zusammenarbeiten, sind wir einfach im Flow. Wir arbeiten uns gemeinsam durch Dinge, an denen ich mich alleine aufhängen würde. Und Wacławs positive Energie bringt etwas Magisches mit hinein. Dieses Gefühl, sich gegenseitig zu pushen und zu inspirieren, das ist wirklich besonders.
Zimpel: Meistens ist es einfacher, wenn man nicht allein ist. Man kann Ideen teilen, und man ist nicht so kritisch mit sich selbst. Das ist ein Problem, das viele Menschen haben, besonders Producer. Wenn man allein im Studio sitzt, ist man oft sehr hart zu sich. Manchmal ist das vielleicht hilfreich, aber oft führt es dazu, dass man nichts zu Ende bringt. Oder man verwirft richtig gute Ideen, auch das passiert ziemlich häufig. Wenn man zusammenarbeitet, ist es irgendwie viel leichter, an das zu glauben, was man macht, weil man positives Feedback von anderen bekommt.
Wie startet ihr den Prozess? Kommt ihr einfach zusammen und legt los? Oder bereitet ihr etwas vor?
Zimpel: Wir bereiten uns schon vor. Gerade bei elektronischer Musik braucht es eine gewisse Planung, um eine bestimmte klangliche Umgebung zu schaffen oder die Instrumente vorzubereiten. Aber das sind eher grobe Ideen. Das kann zum Beispiel eine Akkordfolge sein, ein Groove oder eine bestimmte Schichtung von Klängen, die zu anderen inspiriert und so neue Ebenen entstehen lässt. Aber richtig festgelegt ist da nichts.
Holden: Manchmal starten wir mit Ideen wie: „Was passiert, wenn wir die Klarinette in diese Software einbauen?” Wir kommen oft mit fast nichts ins Studio, ganz entspannt, mit diesem Gefühl von nichts. Aber gerade in diesem Nichts ist alles möglich. Wir probieren meistens ein bisschen herum und finden etwas, was uns gefällt. Und daraus entwickelt sich etwas. Und plötzlich ist ein Song entstanden, der auf der Platte landet. Dinge entstehen spontan. Wir haben mal darüber gesprochen, wie es ist, wenn man am Computer arbeitet und jemand anders daneben sitzt. Dann fühlt sich die Zeit plötzlich ganz seltsam an – fast wie verlangsamt. Ein einziges Plugin hinzuzufügen dauert dann drei Wochen.

Wie entsteht dieses Gefühl?
Holden: Weil sich die Zeit so verlangsamt. Ich habe versucht, Wege zu finden, wie man elektronische Musik fließender und schnell genug produzieren kann. Das hat dazu geführt, dass wir oft mit ganz einfachen Patches und simplen Ideen arbeiten. Darin steckt aber oft schon Musik, die man richtig spüren kann. In meinem individuellen Prozess habe ich oft unbegrenzt Zeit, herumzuspielen. Am Ende baue ich superkomplexe Patches, finde aber gar keine Musik mehr darin.
Wie lange habt ihr an dem Album gearbeitet? Wie ist der Prozess abgelaufen?
Zimpel: Das weiß ich nicht mehr genau, aber die meisten Parts sind an einem Tag entstanden. Es gab einen Song, zu dem wir immer wieder zurückgekehrt sind, bis wir den richtigen Weg gefunden haben, ihn umzusetzen.”
Welchen Song meinst du?
Zimpel: „Time Ring Rattles”.
Holden: Als wir zum ersten Mal an dem Stück gearbeitet haben, waren wir gerade von einem Gig in London zurückgekommen.
Wir waren schon davor ein paar Tage im Studio, da sind ein paar Sachen entstanden, und ganz am Ende kam noch dieser Track dazu. Wir waren total aufgeregt, es fühlte sich an wie eine Mischung aus Steve Reich und Neunziger-Pop-Trance. Aber am Schluss hatten wir so einen komischen Nachgeschmack, als hätten wir es ein bisschen übertrieben. Aber wenn man es probiert, ohne zu übertreiben, fühlt es sich an, als hätte man sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Bei vielen Tracks ist es halt so, dass der erste Take oft der beste ist.
Bestimmte Dinge kann man nicht erzwingen. Sie passieren entweder ganz natürlich oder eben gar nicht. Wenn du also das Gefühl hast, in dem Take ist Musik, dann ist das der Take, den du nehmen solltest.
Wacław Zimpel
Nehmt ihr alles auf, was ihr im Studio macht?
Holden: Wir probieren erst mal einfach nur rum, dann kommt so ein Moment, in dem wir uns denken: „Okay, das nimmt langsam Form an, lass‘ uns mal was versuchen.” Meistens ist der erste Take dann der beste.
Zimpel: Der, in dem die Magie passiert.
Holden: Und wenn man versucht, diese Magie zu reproduzieren, bekommt man es nicht nochmal hin. Ich liebe diesen Prozess total: Was man da hört, ist exakt der Moment, wie er im Studio passiert ist. Du hörst zum Beispiel, wie die Melodie reinkommt – oder wie ich eine Teetasse umschmeiße.
Zimpel: Ich glaube, das war beim zweiten Stück, oder? Bestimmte Dinge kann man nicht erzwingen. Sie passieren entweder ganz natürlich oder eben gar nicht. Wenn du also das Gefühl hast, in dem Take ist Musik, dann ist das der Take, den du nehmen solltest.
Wie habt ihr es hinbekommen, zu improvisieren, das Album aber trotzdem zu einem Ganzen zu machen?
Zimpel: Das ist genau das, was wir tun: Wir improvisieren. Für uns ist das wie zu gehen, ganz selbstverständlich.
„Ich habe ein Gefühl von Nervosität oder innerer Anspannung, wenn wir im Studio zusammen spielen, das ich auch bei den Live-Auftritten habe. So eine Art von fokussierter Energie, würde ich sagen.”
James Holden
Also entsteht die Geschlossenheit einfach aus dem Prozess heraus? Es gibt keinen Plan, kein Konzept oder irgendein Ziel, das ihr erreichen wollt?
Zimpel: Wir sind da ziemlich offen. Wir haben nie den Anspruch, einen bestimmten Sound oder einen bestimmten Stil zu treffen. Wir machen einfach Musik, die sich für uns richtig anfühlt. Zumindest für mich persönlich ist dieser improvisatorische Prozess auch viel einfacher, als jedes einzelne Detail auszukomponieren.
Holden: Ich bleibe, wie gesagt, immer wieder hängen, wenn ich allein Musik mache. Wie in einer Spirale ohne Anfang und ohne Ende. Und der Versuch, daraus dann einen richtigen Track zu machen, fühlt sich oft so an, als würde man ihn dabei kaputt machen.
Das Album klingt gleichzeitig total spezifisch und total offen. Man versucht überhaupt nicht, dem Hörer etwas aufzuzwingen. Das ist in der Musik schwer zu erreichen, weil es normalerweise irgendeine Art von Struktur oder Erwartungshaltung gibt, eine Entwicklung, einen Aufbau. Aber ihr seid gleichzeitig sehr klar, sehr konkret, erzeugt einen bestimmten Moment, ein bestimmtes Gefühl.
Holden: Das ist ein Grund, warum ich mit viel Dance Music meine Schwierigkeiten habe: Weil sie einem oft sagt, was man fühlen oder denken soll.

Spielt ihr lieber zusammen im Studio oder live vor Publikum?
Zimpel: Das ist schon ziemlich unterschiedlich. Im Studio machen wir wirklich erstaunliche klangliche Erfahrungen, weil wir dort alles kontrollieren können. Wir arbeiten mit einem System, das James mir gezeigt hat, mit vielen Lautsprechern, die alle ganz unterschiedliche Eigenschaften haben. Man sitzt mitten im Raum und hört, was von überall kommt. Das ist wirklich einzigartig. So etwas lässt sich bei Live-Auftritten nicht reproduzieren. Andererseits hat das Mikrofon – oder vielleicht eher das Gefühl, dass man für jemand anderen spielt, ein Konzert gibt – eine ähnliche Wirkung. Man spielt nicht einfach ins Nichts. Und wenn man zu zweit ist, spielt man irgendwie auch immer füreinander.
Holden: Ich habe ein Gefühl von Nervosität oder innerer Anspannung, wenn wir im Studio zusammen spielen, das ich auch bei den Live-Auftritten habe. So eine Art von fokussierter Energie, würde ich sagen.
Wenn ihr eure Auftritte von früher im Vergleich zu heute betrachtet, was hat sich verändert?
Zimpel: Das ist schwierig zu sagen, wir sind wahrscheinlich besser in der Kommunikation. Wir finden mehr Wege, um die Musik nicht an jedem Abend zu verändern.
Holden: Wir können jetzt viel freier damit umgehen. Am Anfang haben wir zusammen rumprobiert und Sachen ausprobiert, da waren noch ein bisschen Hektik und auch eine Art Panik dabei. Inzwischen läuft’s richtig entspannt.

Welche Art von Panik?
Holden: Da sind immer zu viele Regler, die man im Blick behalten muss, und zu viele Knöpfe zum Drücken. Man hat immer das Gefühl, etwas vergessen zu haben.
Zimpel: Bei elektronischer Musik bekomme ich total schnell Angst, dass irgendetwas schief geht. Ich könnte ein Kabel vergessen haben, oder während des Konzerts passiert irgendetwas. Auf meiner aktuellen Tour habe ich ein bestimmtes Mikrofonkabel vergessen, das man nirgendwo bekommen konnte. Zum Glück hatte ein Freund von mir eins in Warschau und hat es mir geschickt. Solche Dinge sind für mich am stressigsten. Technik, die nicht so funktioniert, wie wir wollen. Aber die Musik selbst ist für mich pure Freude, fast wie Urlaub – auf der Bühne zu stehen und den Sound zu genießen. Im Moment stehen wir oft direkt vor der PA-Anlage, quasi mitten im Publikum, was eine ziemlich einzigartige Erfahrung ist, weil man den Klang genau so hört wie das Publikum.
Holden: Das liebe ich besonders, etwa den Moment, als wir das zum ersten Mal gemacht haben. Wacław hatte sein Mikrofon in der Klarinette, das ergab einen richtig klaren Klarinettensound. Das bedeutet, dass man Effekte darauf legen kann. Wir haben zusammen ein Plugin entwickelt, das „Pitch Cage” heißt.
Seid ihr manchmal überrascht voneinander? Hab ihr euch schon Mal gedacht: „Ich verstehe gerade überhaupt nicht, was der andere macht?”
Holden: Es gab Momente, in denen man sich denkt denkt: „Oh, jetzt geht er also in die Richtung”. Wie das eine Mal bei einem unserer Auftritte in Barcelona.
Zimpel: Das ist, glaube ich, die Schönheit der Improvisation. Man kann nie eine feste Idee von allem haben. Klar, wir haben bestimmte Vorstellungen, vor allem bezüglich der Instrumentierung oder der Stimmung der Sounds. Es entwickelt sich aber immer in eine andere Richtung. Wenn man im Flow ist, ist eine voreingenommene Haltung total unvorteilhaft. Man muss mit dem Flow gehen, wohin er einen auch führt. Das ist die Herausforderung bei der Improvisation.
Wie wichtig ist das Vertrauen zwischen euch, um beim Improvisieren wirklich loslassen zu können?
Zimpel: Es ist super wichtig, dass wir uns vertrauen. Man überlegt sich genau, mit wem man spielt, und muss vorsichtig sein. Ich kenne nicht viele Leute auf der Welt, denen ich wirklich vertrauen würde.

Könntet ihr euch vorstellen, das Projekt auf mehrere Leute auszuweiten?
Holden: Das haben wir bereits getan. Auf der ersten EP haben wir mit Cooper Gaelic zusammengearbeitet, das hat wirklich Spaß gemacht. Und dieses Jahr werden uns ein Schlagzeuger und Perkussionist begleiten.
„Wenn Kinder in den ersten Jahren Musik ohne Noten lernen würden, hätte das einen immensen positiven Effekt. Die Gesellschaft hätte viel mehr Spaß an Musik.”
Wacław Zimpel
Wie habt ihr zwei euch kennengelernt?
Holden: Auf dem Rewire Festival. Ich war auf der Suche nach ihm, um ihm zu sagen, dass ich sein Album aus dieser Zeit liebe, und er war auf der Suche nach mir, um mir zu sagen, dass er Animal Spirits liebt. Es war irgendwie so, als hätten wir uns getroffen, nur um uns gegenseitig genau dasselbe zu sagen.
Zimpel: Uns ist klar geworden, dass wir uns musikalisch auf sehr ähnlichem Terrain bewegen, obwohl ich aus der akustischen, improvisierten Musik komme und James aus der elektronischen. Aus irgendeinem Grund hatten wir ein ganz ähnliches Verständnis davon, was Trance-Musik eigentlich ist. Und wahrscheinlich war es genau dieser Aspekt, dieses gemeinsame Suchen nach tranceartigen Elementen, der es uns so leicht gemacht hat, zusammenzuarbeiten. Wir wollten beide in ähnliche klangliche und rhythmische Räume eintauchen.
Es gibt viele Kollaborationen in der elektronischen Musikszene, aber oft hat man das Gefühl, dass die Künstler:innen einen sehr ähnlichen Background haben. Da ist bereits viel Gemeinsames da. Bei euch ist es zwar auch so, dass ihr viel miteinander teilt, aber gleichzeitig kommt ihr aus ganz unterschiedlichen musikalischen Welten.
Zimpel: Wir sind nicht zu 100 Prozent verschieden, haben beide als Kinder eine klassische Ausbildung durchlaufen. Das macht es uns leicht, miteinander zu kommunizieren. Ich habe später sogar klassisches Klarinettenspiel studiert. Ich denke, das Spielen Klassischer Musik, klassischer Formen, hinterlässt gewisse Vorstellungen davon, wie man an Klang und Musik herangeht. Später habe ich mich dann mehr in Richtung freie Improvisation und Jazz entwickelt, und James ist in die elektronische Musik gegangen.
Was habt ihr als Kinder gespielt?
Holden: Ich habe Geige gespielt und es dann irgendwie wieder aufgegeben. Wenn man Klassische Musik lernt, muss man ja meistens einfach nur die Stücke für die Prüfungen spielen.

So was wie Mozart?
Holden: Ja, genau. Ich hatte das Gefühl, ich lerne zwar viele Stücke, aber nicht wirklich die Musik an sich. Wenn ich jetzt zurückblicke, finde ich es seltsam, wie einem das als Kind vermittelt wurde. Vielleicht hast sich das inzwischen ein bisschen verändert.
Zimpel: Vielleicht schon, aber sicher bin ich mir nicht. Es gibt bestimmt einige kreative Lehrer:innen, die Klassische Musik unterrichten können, ohne sie über das Notenlesen zu vermitteln. Das ist eines der größten Probleme in der klassischen Ausbildung. Sie funktioniert fast nie ohne Notenblatt. Dabei könnte man Klassische Musik auch übers Gehör lernen, aber das macht fast niemand. Und so kommt es häufig vor, dass Menschen mit einem Uni-Abschluss zwar alles spielen können, die schwierigsten Wettbewerbe gewinnen. Aber sie können oft keinen Ton spielen, wenn keine Noten vor ihnen liegen. Natürlich gibt es auch großartige klassische Musiker:innen, die das können, aber ich spreche hier vom typischen Fall. Ich glaube, wenn Kinder in den ersten Jahren Musik ohne Noten lernen würden, hätte das einen immensen positiven Effekt. Die Gesellschaft hätte viel mehr Spaß an Musik.
Holden: Klassische Musik war ursprünglich viel stärker von Improvisation geprägt, heute wird sie anders präsentiert.
Zimpel: Und auch der Druck, den klassische Musiker haben, keine einzige Note zu vergessen oder zu verhauen! Wenn ich ein paar Monate üben würde, könnte ich ein klassisches Stück wieder fehlerfrei spielen. Aber manchmal habe ich richtig Angst davor, es ist wie ein Albtraum für mich. Ich hatte diesen Albtraum schon öfter, dass ich auf der Bühne stand und ein Stück spielen musste, das ich überhaupt nicht geübt hatte. Plötzlich musste ich es spielen. Und heute, wenn ich das wirklich machen müsste, wäre das eine Katastrophe.
Zum Schluss: Was hat es mit den Spitznamen Synthesizer-Zauberer und Klarinetten-Guru auf sich? Könnt ihr euch damit identifizieren?
Zimpel: Das beschreibt auf schöne Weise das, mit dem wir uns schon seit so vielen Jahren beschäftigen. James ist definitiv der Beste, wenn es um Synthesizer geht, und ich bin es wohl mit meiner Klarinette. Wir machen das beide schon so lange und finden einfach, dass es so sehr schön formuliert ist.
Holden: Ich ziehe mir gerne den Schuh an, Synth-Zauberer zu sein. Schließlich sind wir Hippies.
Holden und Zimpel sind am 29. November in der Elbphilharmonie in Hamburg und am 30. November im Gretchen in Berlin zu erleben. Weitere Termine außerhalb von Deutschland findet ihr hier.