Festivals kollabieren allerorten. Und die Nation of Gondwana? Macht auch in diesem Jahr weiter, als wäre nichts gewesen. Ganz so einfach ist es nicht, wie Aena Spitz, künstlerische Leiterin des Festivals, uns im Interview mitteilt. Die Preisspirale dreht sich in allen Bereichen unaufhaltsam weiter nach oben, was die NoG samt ihrer angeschlossenen Bars auch in diesem Jahr vor ernsthafte Probleme stellt. Wie teuer alleine Schatten ist, wie das Publikum auf die Preispolitik reagiert und welche Veränderungen im Team erfolgen, lest ihr im Folgenden.
GROOVE: Wie ist der Vorverkauf bislang angelaufen? Dieses Mal waren die Tickets bislang am preisintensivsten.
Aena Spitz: In allen Segmenten gibt es nach wie vor akute Preissteigerungen, während die Löhne nicht gleichmäßig ansteigen. Die Situation kennen wir inzwischen alle. Das erklärte Ziel war, den Ticketpreis weitestgehend zu halten. Wir mussten aber leider feststellen, dass das mit der Kalkulation nicht hinhaut.
Wie viel teurer ist das Festival denn im Vergleich zum Vorjahr?
In der ersten Runde hat sich der Preis um fünf Euro erhöht. Die erste Runde war nur für einen gewissen Zeitraum verfügbar, nicht als Early-Bird-Kontingent mit beschränkter Ticket-Zahl. Am 30. April haben wir den Schlussstrich gezogen und, damit die Produktionskosten tatsächlich gedeckt werden können, den Preis nochmal um zehn Euro erhöht. Jetzt kostet das Ticket 240 Euro. Die, die früh wussten, dass sie auf jeden Fall kommen wollen, konnten sich das minimal teurere Ticket holen. Alle, die etwas kurzentschlossener sind, bezahlen insgesamt 15 Euro mehr.
Ihr habt traditionell ein sehr verständnisvolles Publikum. Haben Leute gemurrt?
Dieses Jahr war das Feedback verständnisvoll. Wir wissen aus unserer Historie aber auch, dass die Preisdiskussion immer wieder Thema wird. Ich kann das verstehen, denn wenn man nicht so drinsteckt, sind diese Preise sehr, sehr hoch. Deswegen veröffentlichen wir seit vier Jahren eine Kostenaufstellung. Damit die Leute ein Gefühl dafür bekommen, dass die GEMA beispielsweise 130.000 Euro kostet. Oder dass wir über 60.000 Euro nur für Schatten auf dem Acker ausgeben.

Der war letztes Jahr besonders wichtig.
Der Sonntag war damals extrem heiß. Im Nachhinein habe ich in der Tagesschau erfahren, dass dieser 21. Juli der heißeste Tag weltweit seit Beginn der Wetteraufzeichnung war. Das war auch auf dem Acker zu spüren. Wir haben darauf spontan mit über fünf Paletten Trinkwasser und über zwei Tonnen Eiswürfeln reagiert, die wir kostenlos auf den Floors verteilt haben. Uns wurde mehrfach gesagt, dass der Hauptfloor, die Wiese, zu heiß war. Dessen Highlight ist die nächtliche Lichtshow, an deren Konzept jedes Jahr über zehn Leute arbeiten. Das kostet viel Geld und ist ein Herzstück der Veranstaltung. Nun haben wir uns mit dem Licht-Team zusammengesetzt und ein System gefunden, das Lichtshow und Sonnenschutz kombiniert. Das heißt: Der Floor wird nicht komplett überdacht sein, aber es wird auf jeden Fall Schatten geben. Extremwetter ist etwas, womit sich alle Open-Air-Veranstaltungen künftig stärker auseinandersetzen werden müssen.

Wann genau gab es den Aufschrei eures Publikums aufgrund der Ticketpreise denn? Noch während der Pandemie?
Ja. Wir konnten 2021 die Füße nicht stillhalten und wollten uns dem Virus nicht ergeben. Durch wissenschaftliche Begleitung und das große Vertrauen der Brandenburger Regierung konnten wir ein Modellprojekt durchführen. Da waren die Ticketpreise, auch wegen des integrierten PCR-Tests, relativ hoch. Von 2019 zu 2021 gab es deshalb einen massiven Preisanstieg. Weil wir aber zwei Veranstaltungen direkt hintereinander gemacht haben, sanken die Fixkosten: Der Mietzeitraum des Geländes verlängert sich, es wird aber zweimal genutzt. 2022 sind die Kosten aber nochmals explodiert. Es gibt aber Posten, an denen sich nicht sparen lässt, Löhne etwa. Wir würden nicht davon absehen, Crews, Barleuten oder Securitys einen fairen Lohn zu bezahlen. Und an Sanitäranlagen, Baumaschinen oder Transportkosten kann man nicht viel sparen. Gleichzeitig erhöht sich unser Qualitätsanspruch: Alle lieben unsere hohe Toiletten-Dichte, aber sie kostet sehr viel Geld.
Was stresst euch als Veranstalter derzeit wirtschaftlich am meisten?
Bezahlbar zu bleiben und sich trotzdem in einem gewissen moralischen Grundgerüst zu bewegen.
Das ideelle Koordinatensystem, das die Nation auszeichnet, wollt ihr nicht kompromittieren? Man könnte beispielsweise Sponsoring in Erwägung ziehen.
Nee. Das Tolle ist ja gerade, dass wir unabhängig sind und frei entscheiden können, wann wir wo, was, wie mit wem machen. Der Preis für diese Unabhängigkeit ist momentan hoch, wir halten aber auf jeden Fall daran fest. Wir sind nicht bereit, den Schritt in die Abhängigkeit zu gehen. Da müsste es einen anderen krassen Plan B geben. Das wäre nicht mehr die Nation of Gondwana, dann müsste man was anderes machen.
Du hast im Vorlauf des Interviews gesagt, dass das Wintergeschäft eurer Bars [die Pyonen betreiben in Berlin drei Bars: Tante Lisbeth, Zum Böhmischen Dorf und Zur Fetten Ecke, d.Red.] nicht allzu gut lief. Wie stark trifft euch das?
Rein wirtschaftlich gesehen funktionieren die Bars ganzjährig für sich. Die Nation of Gondwana muss sich selbstständig finanzieren. Wir gehen erst im April in den Vorverkauf, aber natürlich fallen vorher bereits hohe Produktionskosten an. Das heißt: Die Veranstaltung muss so viel Geld erwirtschaften, dass etwa Personalkosten bis zum Vorverkauf, der wieder neues Geld bringt, gedeckt sind. Die Bars sollten eigentlich auch ein eigenständiges System sein, das sich das Jahr über selbst finanziert. Das sind eher Winter-Locations, obwohl sich die Attraktivität im Sommer in den letzten Jahren gesteigert hat. Trotzdem spüren wir den Rückgang an Besucher:innen dort. Da sind wir sicher nicht die einzigen Gastronomen.
Und einen Rückgang der generellen Konsumfreudigkeit.
Die Leute haben auch da weniger Geld in der Tasche und leben gesünder, trinken nicht vier, sondern nur zwei Bier. Und es gibt weniger Tourismus, Stichwort EasyJet, der sich auf Bars und Clubs auswirkt. Miete und Strom kommen auch noch dazu. Und der gestiegene Mindestlohn, was erst mal zu begrüßen ist. Wir bezahlen in den Bars aber übertariflich, was bei nicht gestiegenem Umsatz ein Problem darstellt, woran wir aber trotzdem festhalten möchten. Es sind keine einfachen Zeiten. In den Sondierungspapieren der neuen Bundesregierung sind für gastronomische Betriebe Steuerentlastungen geplant. Aber da spricht man nur von einer siebenprozentigen Steuersenkung auf Lebensmittel, nicht auf Getränke. Wir als Schankwirtschaft profitieren davon nicht.

Anton [Janizewski, d.Red.] und du haben nach dem Tod von André Janizewski als neues Booking-Gespann angefangen. Habt ihr euch inzwischen eingespielt und gibt es für dieses Jahr neue Schwerpunkte, die ihr setzen wolltet?
Wir sind ein super Team. Das bleibt nicht aus, wenn man so eng miteinander arbeitet und vier Wochen nebeneinander in Bauwägen auf dem Acker wohnt. Im Booking sind wir noch ein bisschen mutiger geworden. Wir haben sehr viele Residents auf der Veranstaltung, die eigentlich jedes Jahr spielen, wollen aber auch beim 31. Mal im Wandel bleiben. Wir versuchen also neue Routinen zu finden, sodass auch Residents teils nur alle zwei Jahre spielen. Sodass Platz für andere tolle Künstler:innen ist. Auf der Wiesenbühne bewegen wir uns in diesem Jahr in vielen verschiedenen Facetten des Technos, etwa von Blasha & Allatt über Helena Hauff bis hin zu DVS1. Zudem sind wir voller Vorfreude, dass unsere langjährige Freundin Monika Kruse ein kleines Comeback bei uns feiert. Aber auch auf der Seebühne wird es musikalisch spannend, unter anderem mit Anz sowie John Talabot und Eris Drew. Außerdem sind die zwei Floors Bei Birke und Wäldchen komplett neu aufgestellt, mit neuen Teams dahinter. Dieser frische Wind zeigt sich auch im Line-up auf den jeweiligen Bühnen. Und insgesamt sind wir im Bereich der elektronischen Genres breiter aufgestellt, es wird auch mal dubbiger oder breakiger an einigen Stellen, und musikalisch wird es viel zu entdecken geben. In den letzten drei Jahren haben wir eine Handschrift gefunden und wissen jetzt schon, was wir nächstes Jahr ausprobieren wollen.

Wandel findet in der Regel nicht nur im Booking, sondern auch im Team selbst statt. Welche Entwicklungen gibt es da?
Anton und ich waren 2021 schon ein großer Teil des Generationenwechsels. Der Anlass war sehr traurig, weil André gestorben ist. Jetzt erfolgt der nächste große Wechsel: Neben der künstlerischen Leitung gibt es die Produktionsleitung, also Logistik, Genehmigungen und so weiter. Das hat in den letzten Jahren Markus [Ossevorth, d.Red.] gemacht. Jetzt übernimmt meine Kollegin Suse [Laukert, d.Red.]. Markus bleibt Veranstalter, zieht sich aber aus dem operativen Geschäft zurück.
Die Fäden laufen aber noch bei ihm zusammen.
Genau. Er ist Geschäftsführer, er ist Veranstalter, er trägt die Hauptverantwortung. Die Durchführung der Veranstaltung liegt aber jetzt bei Suse. Es gab eine lange Übergangsphase, in der sie eingelernt wurde. Es war also absehbar, dass das passieren wird.
Welche Vergangenheit hat Suse mit der Nation of Gondwana?
Sie ist seit vielen Jahren Teil der Veranstaltung und war seit 2017 oder 2018 Teil des Bei-Birke-Teams [einem Floor des Festivals, d.Red.]. Sie hat damals ein Kollektiv mitgegründet, das sich dafür stark gemacht hat, mehr Diversität hinter den Decks sichtbar zu machen. Zu Corona-Zeiten haben wir sie ins Büro eingeladen, weil wir dachten, dass das ein guter Match ist.
Und Markus hat seit längerer Zeit den Gedanken, Verantwortung abzugeben, weil er schon so lange dabei ist?
Die Arbeit mit einem Festival, drei Bars und über 40 Mitarbeitenden, der ganze bürokratische Aufwand, das ist ein proper Job. Ich glaube, dass dieser Generationenwechsel eine willkommene Chance für neue Perspektiven ist. Um nachhaltig bestehen zu können, ist eine Verjüngung unabdinglich. Unser Credo war immer: Von Raver:innen für Raver:innen. Und ich glaube, da sind Suse und ich voll drin. (lacht)
Die Nation of Gondwana findet vom 18. bis 20. Juli statt. Es gibt noch Tickets im Vorverkauf.