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Herrensauna: Radikale Queerness, Punk, etwas Dreckiges und dieser alte deutsche Look

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Geboren im Berliner Underground, ist die Partyreihe Herrensauna ein queerer Raum, ein Ort pulsierender Beats, radikaler Energie und genau der richtigen Portion Chaos – und seit knapp zehn Jahren eine Art Blaupause einer Berliner Techno-Partyreihe schlechthin. Was als kleine, intime Party begann, hat sich zu einem Kollektiv mit internationalem Einfluss entwickelt. Die Musik von ikonischen Herrensauna-DJs wie Héctor Oaks oder SPFDJ ist treibend, roh und mitunter poppig, die Atmosphäre intensiv.

2015 von Cem Dukkha (CEM) und Nicolas Endlicher (MCMLXXXV) gegründet, hat sich das Kollektiv vom Start im Bertrams zum festen Programmpunkt im Tresor und einer internationalen Plattform entwickelt. Verwurzelt in Berlins queerer Gegenkultur und DIY-Ästhetik, hat Herrensauna einen Sound und eine schwarz-weiße Bildsprache etabliert, die weltweit Anklang findet – zuletzt mit Ablegern in New York und London.

GROOVE-Autor Jacob Hession sprach mit den Gründern Cem Dukkha und Nicolas Endlicher sowie Resident Mauro Ventura alias DJ Saliva über ihren Werdegang, künstlerische Einflüsse und Momente, die hängengeblieben sind.

GROOVE: Fangen wir am Anfang an: Wie habt ihr euch kennengelernt?

Cem: Wie erklären wir das?

Nicolas: Wir haben uns in einem Club getroffen.

War das noch in Wien? 

Cem: Ja, Nicky und ich haben uns Mitte der 2010er in Wien getroffen.

Was hat euch nach Berlin gebracht?

Nicolas: Wenn man in Wien aufwächst und schwul ist, wird es dort irgendwann langweilig.

Cem: Wir fühlten uns eingeengt und konnten uns in der Stadt nicht so ausdrücken, weil sie uns zu konservativ war. Außerdem interessierten wir uns beide für Berlin.

Wie habt ihr euch entschieden, Herrensauna zu starten?

Nicolas: Wir waren zu dem Zeitpunkt schon eine Weile in Berlin und veranstalteten bereits, aber wir wollten etwas Neues erleben. Also entwickelten wir einen kleineren, intimeren Techno-Party-Vibe.

Nicolas Endlicher hat die Herrensauna mitgegründet (Foto: Presse)

War dieser intimere Vibe die einzige Idee oder hattet ihr schon eine klare Vorstellung von einer Identität?

Cem: Wir hatten eine gute Idee, und die visuelle Identität war auch stark. Ich meine, es war eine Mischung aus beiden.

Nicolas: Es war go with the flow. Das heißt, die Idee war noch nicht fertig entwickelt, aber wir hatten eine Art Überzeugung.

Woher stammen die visuellen und klanglichen Einflüsse von Herrensauna?

Cem: Wir waren von den extremen Formen des Ausdrucks queerer Identitäten inspiriert und von den verschiedenen Formen, die das annehmen kann. Auch wie Schwulenkultur mit der Fetischisierung bestimmter Ästhetiken flirtet, gefiel uns.

Nicolas: Herrensauna war stark inspiriert von Gegenkultur, Punk-Kultur, radikaler Queerness oder Homosexualität. Anything really in your face. Rückblickend verstehe ich, wie das wohl das Ergebnis davon war, in Wien aufzuwachsen, wo du immer genervt vom Status Quo bist.

Mauro Ventura (DJ Saliva) (Foto: Presse)

Mauro: Bei euch spürt man stark diese DIY-Kultur – alles, was mit Punk zu tun hat, basiert auf dem Prinzip: Die Leute machen es selbst. Es geht weniger ums Geld oder darum, woher man kommt.

Cem: Übrigens: Der Name Herrensauna stand damals bereits. Nicolas hatte – noch bevor ich ihn kennenlernte – einen Tumblr-Kanal, der so hieß. Auf dem hat er viele Einflüsse gesammelt.

„Es geht weniger ums Geld oder darum, woher man kommt.”

Mauro Ventura alias DJ Saliva

Wie hat sich diese visuelle Identität entwickelt?

Nicolas: Im Kern ist sie gleich geblieben, aber wir sind mehr in punkige Richtungen gegangen – am Anfang noch stark geprägt von diesem alten deutschen Look, beeinflusst vom Leben in Berlin und den Überbleibseln der Stadt. Mittlerweile ist das Ganze internationaler geworden.

Cem: Und auch musikalisch wollten wir den Vibe der Neunziger zurückbringen – etwas Dreckigeres, weniger Poliertes oder Durchgestyltes. Das hat uns in der queeren Szene gefehlt. Bei mir hatte das viel mit meiner Obsession fürs Plattensammeln zu tun. Ich wollte dieses Gefühl neu aufleben lassen.

Mauro: Das hat auch mich sehr beeinflusst. Von Anfang an Artworks zu machen, die genau diese Nonkonformität und den Mut der Musik visuell übersetzen. Egal was Leute unter Punk oder Queer verstehen – mir war wichtig, das in Bildern greifbar zu machen.

Hat sich durch diesen visuellen Stil eine Community geformt?

Cem: Ich denke schon. Er hat auf jeden Fall die Szene geprägt.

Mauro: Als ich die beiden kennengelernt habe, war diese Ästhetik schon total klar. Das hat mich dazu gebracht, ähnliche visuelle Inhalte zu schaffen, die sich immer wieder neu formuliert haben. Die Musikszene, die wir aufgebaut haben, ist mehr als nur eine Szene – sie wurde zur Bewegung.

Ihr habt eure Partys ursprünglich im Bertrams [einem inzwischen geschlossenen Berliner Club am Maybachufer in Neukölln, Anm. d.Red.] gemacht – 2017 ging es dann in den Tresor. Wie kam es dazu?

Cem: Der damalige Hauptbooker vom Tresor mochte unsere Party total und hat uns quasi überredet. Das Timing hat perfekt gepasst.

Hatte der Umzug einen großen Einfluss auf die Partyreihe?

Cem: Total. Allein durch den Namen Tresor wurde die Party sofort ebenfalls zu einem Namen. Der Club hat einfach eine starke Geschichte. Und der Raum, im wörtlichen Sinne, hat ermöglicht, dass das Ganze größer werden konnte.

Nicht im Tresor, dafür vor der Kamera: Cem (Foto: Presse)

Nicolas: Plötzlich waren wir international auf dem Radar. Und unser Umzug in den Tresor, obwohl der Club auch viele Touris angezogen hat, half dabei, dem Club wieder einen Underground-Vibe zu geben.

„Der Umzug in den Tresor hat dem Club wieder einen Underground-Vibe gegeben.”

Nicolas Endlicher alias MCMLXXXV

Wie war der Übergang zu diesem Erfolg?

Cem: Irgendwann mussten wir entscheiden, ob wir die Welle reiten oder uns zurückhalten. Wir haben dann gemerkt, dass es eine spannende Chance ist, ein größeres Publikum zu erreichen, auch für unsere Solo-Arbeiten als DJs und Artists. Es war eine bewusste Entscheidung, daraus eine größere Idee und Marke zu machen. Wir haben immer darauf geachtet, Label-Showcases mit Leuten zu machen, die wir mögen, auch wenn sie keinen großen Background hatten. Viele Connections sind dabei ganz organisch entstanden, die wiederum Profile aufgebaut haben.

Hat sich euer Verhältnis zur Party inwzischen verändert?

Nicolas: Auf jeden Fall. Es gibt mehr Druck – aber auch mehr Selbstvertrauen.

Wie geht ihr mit diesem Druck um?

Cem: Wenn man so lange in Berlin lebt, merkt man einfach, wie sich das Publikum ständig verändert. Wir haben nicht mehr die Zeit, jede Woche zu feiern wie früher. Aber dafür können wir die Partys jetzt auch woanders hinbringen und dort Wurzeln schlagen, neue Szenen aufbauen.

Die Herrensauna-Residents CEM, Héctor Oaks, SPFDJ und MCMLXXXV (v.l.n.r) (Foto: Presse)

Wie kam es dazu, dass ihr Partys in anderen Städten veranstaltet habt?

Nicolas: Wir waren einfach öfter in anderen Städten feiern. Und irgendwann kamen Einladungen.

Fühlen sich die Partys in anderen Städten anders an?

Cem: Ja, aber auf eine spannende, neue Art. Berlin kann man zwar nicht kopieren, trotzdem haben andere Städte ganz eigene Qualitäten, die Clubbing manchmal sogar interessanter machen.

Habt ihr Lieblingsclubs- und orte?

Cem: In letzter Zeit auf jeden Fall das Basement in New York und auch Barcelona. Wir haben außerdem eine Residency in Zürich – das macht immer Spaß.

„Ich erinnere mich, dass Leute gesagt haben, die Luft sei so sauerstoffarm gewesen, dass man keine Feuerzeuge mehr benutzen konnte.”

CEM

Gibt es Partys, die euch besonders im Kopf geblieben sind?

Nicolas: Eine im Funkhaus – draußen tobte ein Sturm und drinnen die Leute.

Cem: Oder unsere letzte Herrensauna im Bertrams. Wir hatten ein komplett verrücktes Line-up und haben beschlossen, bis Sonntag um 18 Uhr zu spielen. Irgendwann in der Nacht sind die Amps durchgebrannt, und wir mussten einen Freund anrufen, der ein Funktion-One-System hatte. Währenddessen hat SPFDJ ohne Monitore gespielt. Die Energie war komplett chaotisch. Ich glaube, DVS1 hat auch gespielt. Ich erinnere mich, dass Leute gesagt haben, die Luft sei so sauerstoffarm gewesen, dass man keine Feuerzeuge mehr benutzen konnte.

Wie war die Pandemie für euch?

Nicolas: Wir hatten gerade angefangen viel zu spielen, deshalb war die Pause irgendwie auch willkommen. Es war gut, sich mal um Dinge zu kümmern, die nichts mit dem DJ-Leben zu tun haben. Das hat uns wieder geerdet.

Mauro: Die Pause war total wertvoll, Zeit zum Reflektieren, fast schon ein Privileg.

Herrensauna auf dem Dekmantel (Foto: Presse)

War die Stimmung anders, als es wieder losging?

Cem: Nach der Pandemie sind alle völlig durchgedreht. Alle hatten Hunger nach neuer Musik – die Partys waren echt wild. Die Leute waren fast dämonisch. Ich habe auch gesehen, wie Promoter:innen größere Risiken eingegangen sind, weil sie wussten: Die Partys werden eh voll. Aber jetzt hat sich das wieder normalisiert.

Wenn ihr an die Zukunft eurer Party denkt, was seht ihr da?

Mauro: Wir entwickeln uns mehr zu einem kreativen Hub mit Fokus auf Kollaborationen in verschiedenen Bereichen und dem Ausbau des Labels. Wir wollen eine Plattform sein, um neue Künstler:innen zu fördern.

Welche Kollaborationen?

Cem: Wir haben ein paar Sachen mit Modemarken gemacht, die stark in der Musikszene verankert waren. Uns hat diese kreative Freiheit immer sehr gereizt. Aktuell arbeiten wir auch an einer Compilation-Reihe mit Artists, die uns nahestehen. Wir bereiten außerdem neue Releases für dieses und nächstes Jahr vor.

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