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KKR, Gaza und die Sónar-Frage: Warum auch Nicht-Absagen Haltung ist

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Es gibt diesen Moment, wo plötzlich alles zusammenrutscht. Wo ein Name fällt – drei Buchstaben, kalt, groß, amerikanisch: KKR. Und ein ganzes Festival kippt ins Moralische. Vorbei die Zeit, in der Sónar einfach Sónar war. Ein Wochenende Electronica-Evangelium in Barcelona, zwischen Synth-Workshops, Algorithmus-Kunst und fancy Aperol in Hotelbars mit Soundinstallation.

Jetzt ist das Festival: ein Symbol für Komplizenschaft, für Kapitalverflechtung, für den Krieg in Gaza. Für alles auf einmal. Die Stimmung: gereizt. Die Fronten: für viele klar. Wer spielt, schweigt. Wer absagt, hat Haltung. So lautet zumindest der Subtext der Social-Media-Ticker.

Aber lasst uns kurz drei Buchstaben zurückventilieren. KKR, ein gigantischer US-Investmentfonds, hat im Juni 2024 gemeinsam mit anderen eine Mehrheitsbeteiligung an Superstruct Entertainment übernommen – dem Veranstalter, der Musikfestivals wie Awakenings, DGTL, Field Day oder eben Sónar betreibt. Damit sitzt jetzt an den Reglern der sogenannten Avantgarde ein Konzern, der unter anderem Verbindungen in israelische Siedlungsprojekte haben soll.

KKR ist also nicht einfach nur Kapitalismus. KKR ist Kriegskapitalismus und -kolonialismus. Mit Geldströmen, die bis in den Gazastreifen reichen. Und auf einmal steht Sónar nicht mehr für nerdige Avantgarde-Elektronik, nicht mehr für intellektuelles Raven, sondern für „unethische Investments”.

Absagen als Default-Geste

Das sickert in den Social-Blasen durch. Artist um DJ setzt seinen Namen unter einen Brief. Booking-Agencys äußern sich betroffen. Sogar Richie Hawtin setzt sich wieder mal vor sein Smartphone. Und natürlich: Timelines füllen sich mit Statements, die oft klingen wie aus der ChatGPT-Redaktion für pseudopolitisches Gewissen. Und ein bisschen ist das verständlich. Wer will schon bei einem Festival dabei sein, das irgendwie auch Krieg mitfinanziert?

Wie viele DJs haben eigentlich schon ihren Auftritt beim ebenfalls von Superstruct veranstalteten Awakenings Festival abgesagt? (Foto: Mark Vermeule)

Aber: Vielleicht ist das zu einfach. Vielleicht ist genau dieser Reflex, das Absagen, das Sich-Distanzieren, nicht der moralisch überlegene Akt, für den man ihn gerade kollektiv hält. Sondern: ein Ausweichen. Eine Abkürzung. Ein Symbol, das vorgibt, Haltung zu sein.

Denn was bedeutet es eigentlich, wenn wir anfangen, Kultur nur noch entlang von Besitzstrukturen zu bewerten? Wenn wir politische Komplexität auf Investorentabellen reduzieren und unsere Reaktion darauf Rückzug ist? Was bedeutet es, wenn wir nicht mehr streiten, sondern gehen?

Die Welt ist keine reine Veranstaltung

Ja, KKR investiert in Rüstungs- und Überwachungstechnologie. Ja, diese Verbindungen reichen in Bereiche, die auch mit militärischer Infrastruktur Israels verflochten sind, zumindest indirekt über Beteiligungen. Und ja, genau das gehört benannt, analysiert, kritisiert. Aber: KKR ist kein Einzelfall. Es ist System. Es ist symptomatisch für einen – hallo, sogenannte Gegenwart – spätkapitalistischen Kulturbetrieb, der auf globalen Verflechtungen beruht, in denen sich niemand mehr reinwaschen kann. Egal ob DJ, Club oder Festival.

Und wie schaut es beim DGTL aus? Gehört ja auch zu Superstruct und damit – zu KKR. (Foto: Presse)

Wer heute Sónar absagt, müsste morgen eigentlich konsequent weitermachen. Denn das Netz, in dem wir uns bewegen, ist nicht sauber. Nicht mal annähernd. Die meisten Labels veröffentlichen auf Plattformen wie Spotify – einem Streaming-Dienst, der von Investoren wie BlackRock unterstützt wird, einem Konzern, der wiederum Milliarden in Rüstungsunternehmen und Überwachungstechnologie steckt. Die Clubs, in denen wir tanzen, laufen auf Soundsystemen von Firmen, deren Muttergesellschaften Aktienpakete halten, die sich kaum von denen von KKR unterscheiden. Die Fluglinien, mit denen man zum nächsten Festival reist, fliegen alle auch Waffen, Soldaten oder zumindest diplomatische Interessen. Selbst die Kreditkarte, mit der die Artist-Spesen gezahlt werden, kommt von einem Finanzinstitut, das irgendwo, über fünf Ecken, in Pipelines, Drohnen oder Gesichtserkennungssoftware investiert ist.

Bleiben ist nicht Komplizenschaft, sondern Konfliktbereitschaft

Die Frage sollte also nicht sein: Kann man unter diesen Umständen noch auf dem Sónar spielen? Sondern: Warum nicht auftreten – und davor oder danach sprechen? Warum nicht Panels fordern? Reden halten? Diese Räume schaffen, von denen alle immer reden – um in denen dann die Verbindungen zwischen Musikindustrie, Finanzkapital und geopolitischer Gewalt aufzudröseln. Vor Ort. Mit Blickkontakt. Und echten Gesprächen, statt formatierten Story-Posts.

Denn – und die drei Euro sollten wir gerne im Phrasenschwein versenken – Subkultur war immer ein Ort des Widerspruchs. Sie war nie moralisch rein. Sie war gefährlich. Schmutzig. Politisch irgendwie ambivalent. Und genau deshalb stark. Wer heute absagt, entzieht sich der Zumutung. Wer bleibt, nimmt sie an.

Solidarität ist keine Pose

Das bedeutet nicht zu schweigen. Es bedeutet handeln, aber differenziert. Politische Klarheit heißt nicht immer Rückzug. Manchmal heißt sie: präsent sein. Inmitten der Widersprüche. In der Nähe zur Macht. Um zu stören. Um sichtbar zu machen, was sonst bequem verdrängt wird.

Sónar ist kein unschuldiges Festival, aber das Festival ist ein sichtbarer Ort. Und Sichtbarkeit ist Macht. Wer sie nutzt, kann mehr verändern als der, der sie abgibt. Vor allem in einer Szene, in der die Infrastruktur selten denen gehört, die auf der Bühne stehen.

Der pro-palästinensische Ruf nach Boykott ist real. Deshalb sollte man darüber diskutieren. Aber ihn nicht sofort übernehmen, als gäbe es keine Alternativen zur Absage. Man sollte verhandeln, mit Respekt, aber auch mit Fragen. Ist der Boykott ein Werkzeug? Oder ein Reflex? Dient er der Sache? Oder einfach wieder mal nur dem Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen?

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