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Donaufestival 2025: Verwirrung, bestens isoliert

Neuer Frühling, neues Donaufestival: Wie jedes Jahr verwandelte sich die österreichische Kleinstadt Krems an zwei Wochenenden zum Experimentalbiotop für avantgardistische Musik, Performances und Installationen – dieses Mal allerdings unter besonders düsteren Vorzeichen, blickt man auf die globale politische Gemengelage. Philipp Gschwendtner und Maximilian Fritz waren am ersten Wochenende vor Ort und haben überprüft, wie viel Disruption im Postkartenidyll geht.

Confusion is next lautet das Motto des diesjährigen Donaufestivals. Eine in der Tat verwirrend anmutende Losung, wenn man im Zug Richtung Krems sitzt: Im sonnendurchfluteten Waggon passiert man den imposanten Benediktinerstift Göttweig, der auf seinem Hügel den Fixpunkt der Hintergrundkulisse des Festivals bildet, während man zwischen der Minoritenkirche im Ortsteil Stein und der Stadthalle im tatsächlichen Krems hin und herhastet. Vom globalen Aufruhr, der das inhaltliche Konzept des Festivals bestimmt, fühlt man sich hier, zwischen Weinbergen, Schnitzelsemmeln und bei guter Luft, bestens isoliert.

Das ändert sich schlagartig, wenn man ins Programm eintaucht. Zwar findet auf dem Gelände des Kremser SC in diesem Jahr kein Fußballspiel parallel zum Festivalgeschehen statt. Die Diskrepanz zwischen kleinstädtischen Gepflogenheiten und avantgardistischen, internationalen politischen Zusammenhängen wird aber auch so ersichtlich.

Derya Yıldırım & Grup Şimşek (Foto: David Višnjić)
Derya Yıldırım & Grup Şimşek (Foto: David Višnjić)

Zum Beispiel bei der vierköpfigen Kombo Derya Yıldırım & Grup Şimşek, die der desolaten Weltlage mit einer stilistischen Fusion aus traditionell anatolischer Musik und Funk begegnet. Klänge der Oud und aus der elektronischen Orgel schmiegen sich aneinander. In der Anmoderation von „Direne Direne”, was übersetzt in etwa Widerstand bedeutet, erzählt Yıldırım von der Bedeutung des Titels, etymologisch und persönlich. Es geht um die tagesaktuelle politische Lage in der Türkei und anderswo, aber die musikalische Melange aus Alt und Neu vermag es, das Jetzt in einen größeren Kontext zu rücken. Der Blick in die Vergangenheit hilft Zukunft zu gestalten. Yıldırıms Stimme beschwört eine melancholische Erzählung, die sich über animierende Rhythmen legt. Nach dem Motto: Haltung zeigen bedeutet nicht Strammstehen, sondern Tanzen. If I can’t dance, it’s not my revolution.

Anna von Hausswolff (Foto: David Višnjić)

Wenn überhaupt, so ist Anna von Hausswolffs anschließende Darbietung im Stadtsaal auf einer abstrakteren Ebene politisch. Die Schwedin hatte in der Vergangenheit mehrmals Probleme mit erzkatholischen Aktivist:innen, die mit fleißigem religiösem Eifer verhinderten, dass sie mit ihrem Doom Metal das Innere von Kirchen entweihte. Eigentlich eine verpasste Chance, dass das Donaufestival nicht die Minoritenkirche am anderen Stadtende als Bühne auserkor. von Hausswolff jedenfalls spielt heute Abend eine Show, die etwas glatter anmutet als noch an exakt selber Stelle 2019, als sie das Publikum teilte und symbolisch eine vierte Wand einriss, die bei ihren Auftritten ohnehin nicht existiert, so inszenatorisch hochwertig sie auch sein mögen. Hits wie „The Mysterious Vanishing Of Electra” fesseln auch dieses Mal. Die Sängerin bewegt sich dabei im Hosenanzug inmitten von fünf Musikern, die sie wie bei einem altertümlichen Fruchtbarkeitsritual umringen, spielt ihr Keyboard als Orgel-Ersatz und moduliert ihre ausdrucksstarke Stimme in Registern zwischen Kate Bush und nordeuropäischen Metal-Traditionen. Das überwältigt, verwirrt und nimmt über weite Strecken restlos ein. Die Post-Black-Metaler Liturgy verzichten in der Halle danach auf sämtliche Pop-Momente und lassen von Hausswolffs Crescendos zum Dauerzustand werden – eine absolut sinnige Ansetzung.

Anna von Hausswolff mit Band (Foto: David Višnjić)

Der Solokünstler Billy Woods hingegen entwickelt im Anschluss eine andere, diesseitigere Form der Dringlichkeit und rappt auf Beats der Sorte, der gerne das Prädikat weird zugeschrieben wird. Verspult. Doch wenn der Loop kickt, wird mit dem Kopf genickt, so wie unweigerlich ein Lächeln auf die Lippen kommt, wenn sich der Reim auflöst. Ein bitteres Lächeln zumeist, denn die Bilder, die Billy Woods malt, sind düster. Der Stil pendelt zwischen der Abstraktion und den gigantomanischen Reimschemata eines MF DOOM und dem konkreten Storytelling, wie es in der UK-Szene zu finden ist. Am späten Freitagabend ist die nötige Auffassungsgabe für die Komplexität der Reime schwer aufzubringen. Macht aber nichts, man kann sie ja nachlesen. Die schleppenden Beats wirken trotzdem. Dissoziieren wie Tranquilizer. Und immer wieder kickt der Loop und hallt auch noch nach, als das Publikum zum Ende des Festivalauftakts langsam aus der Halle trudelt.

Billy Woods (Foto: David Višnjić)
Billy Woods (Foto: David Višnjić)

Im Kino am Kesselhaus wird am Samstag ein Eckpunkt des diesjährigen Festivalkonzepts gesetzt: die so titulierte Multimedia-Show „Die Fabrikation der politischen Paranoia” des Autoren-Duos Markus Metz & Georg Seeßlen. Darin führen sie ihr Konzept der Blödmaschinen ein, das sie zuerst in einem 2011 erschienen Buch beschrieben und nun dem leider notwendig gewordenen Update Blödmaschinen II unterzogen. Die Autoren sind in einem Videocall für ein kurzes Intro und einige abschließende Fragen hinzugeschaltet, das Hauptformat kommt vom Band. Es könnte auch Video-Essay heißen, also eine von (Bewegt-)Bildern unterlegte Tonspur. Darin versprühen schlecht aufgelöste JPEGs und Handyvideos von mit Kugelschreiber gezeichneten Diagrammen den Charme der Fabrikation im altgedienten Windows Movie Maker. Die sympathisch antiquierte Machart animiert einen Zuschauer eine Reihe vor uns, etwas von einem „Computerführerschein” zu scherzen. Letztlich ist das aber unerheblich, denn das Format erfüllt seinen Zweck hervorragend und stößt auf positive Resonanz im Kremser Publikum.

Kurz zur Theorie: Eine Maschine ist als ein abstraktes System zu begreifen, das Inputs in Outputs wandelt. Die Blödmaschinen bezeichnen mediale und kulturelle Apparate, die systematisch Verdummung produzieren. Das Autoren-Duo analysiert damit, wie Unterhaltungsindustrie, Massenmedien und digitale Plattformen eine Form der organisierten Dummheit erzeugen, die politisch funktional ist und Herrschaftsverhältnisse stabilisiert. Das Modell Blödmaschine ermöglicht Reflexion und operiert damit genau gegenläufig zu den Kräften, die es beschreibt. Mutmaßlich kommen viele Besucherinnen vor allem wegen der musikalischen Acts zum Festival. Doch Programmpunkte wie dieser spannen eine theoretische Klammer auf, die in die Performing Arts hineinwirkt und die Qualität des Festivals auf eine andere Ebene hebt.

Regina José Galindo dirgiert El Gran Retorno (Foto: David Višnjić)

Während die Multimedia-Show also in den Köpfen fruchtet, bewegen sich die Besucher:innen in losen Grüppchen zum Steiner Tor. Dort startet die Performance El Gran Retorno, während der die guatemaltekische Künstlerin Regina José Galindo eine Marschkapelle rückwärts durch die Kremser Fußgängerzone marschieren lässt. Die Aktion wirkt als Kommentar auf den Trend zu Aufrüstung und Remilitarisierung („Retorno” bedeutet sowohl „rückwärts” als auch „Rückkehr”) im schönsten Sinne disruptiv in den urbanen Raum hinein. Vor den Cafés der idyllischen Altstadt sitzend, verfolgt man den Umzug staunend bei Spritzer, Melange oder Gelato.

aya x MFO (Foto: David Višnjić)

Im weitaus brutaleren Sinne disruptiv – so etwas wie das diskursive Lieblingswort der diesjährigen Donaufestival-Ausgabe – agieren aya und der Videokünstler Marcel Weber alias MFO, die den ersten musikalischen Act des Abends bestreiten. Die Britin vermittelt auf stimmlicher wie auch auf musikalischer Ebene eine charmante Aggressivität, wie sie nur aus einer musikalischen Sozialisation in, Achtung, disruptiven Musikkulturen ihrer Heimat entspringen kann. Sprich: Die ungemein bühnenpräsente aya rappt über ratternde, abgehackte Breaks und vollführt dabei absurde, humoristische sprachliche Volten im Akkord. No fucks given.

Sega Bodega (Foto: David Višnjić)
Sega Bodega (Foto: David Višnjić)

Eine verbreitete Reaktion auf schlechte Nachrichten ist der Hedonismus. Diesen zelebriert die Musik von Sega Bodega, die zwischen aufdringlich schrillen Melodielinien und brechend schweren Drums jeden Gedanken an die Weltlage im Keim ersticken lässt. Um wenigstens für einen kurzen ekstatischen Moment Frieden zu erleben. Der Mix aus Techno, R’n’B und Vaporwave resultiert in einem Sound, der schwer in alten Begriffen beschreibbar ist, mit Hyperpop aber einen halbwegs passenden gefunden hat. Als Produzent arbeitete er mit Shygirl, Eartheater, Björk und Rosalía. Auf dem Donaufestival steht er selbst auf der Bühne. Das Setup aus Laptop und MIDI-Controller wirkt schlicht inmitten des Feuerwerks aus dekonstruierter Clubmusik und überreizten Visuals, das es heraufbeschwört. Seltsamerweise stellt sich trotz maximaler visueller und auditiver Stimulation eine Art apathische Langeweile ein, die an das endlose Scrollen durch Reels erinnert. Wieder draußen in der warmen Frühlingsnacht bieten die Treppen vor der Stadthalle den perfekten Ort, um sich wieder zu erden, bevor es zu den letzten Acts des Abends geht.

Mala Herba (Foto: David Višnjić)
Mala Herba (Foto: David Višnjić)

Der Sonntag wartet dann mit den letzten Musik-Performances im Klangraum Minoritenkirche auf. Zuerst ist die in Wien lebende Pol:in Mala Herba an der Reihe, die am Anfang ihres Konzerts auf ein kollektives Ritual einschwört und die Partizipation des Publikums einfordert. Die Kirche verwandelt sich in der folgenden Stunde zur paganen Spielwiese für allerlei esoterische Tropen, die in ihrer mit feierlichem Ernst absolvierten Ausführung abgeschmackt wirken. Die Beats auf dem aktuellen Album Wounded Healer mögen stark produziert sein, die selbstgenügsame Heiler-Ästhetik einschließlich Blumenkränzen, weißer Roben und zäher Interaktionen mit dem Publikum mutet angesichts mehr als realer globaler Krisen aber nicht nur wahnhaft an, sondern weckt unangenehme Assoziationen mit alternativen Lebensmodellen, die die Realität nicht nur ausblenden, sondern sie biegen, brechen, ins Gegenteil verkehren. Passabel funktioniert dieses Konzert, wenn man es sich abseits der Bühne gemütlich macht – entgegen der Anweisung der Künstler:in.

Mala Herba (Foto: David Višnjić)
Mala Herba (Foto: David Višnjić)

Den Schlusspunkt des ersten Wochenendes setzt der im Jazz verankerte Multiinstrumentalist Shabaka Hutchings alias SHABAKA, der die Minoritenkirche zusammen mit Elliot Galvin an Piano und Synthesizern bespielt. Das ohne Pause durchgezogene Set erinnert an meditative Klangexperimente von Alice Coltrane oder Sun Ras Arkestra, wobei die transzendierenden Klänge immer wieder ungeschliffene analog-elektronische Rhythmus-Patterns durchbrechen – oder vielmehr erweitern. Am Ende spricht Shabaka ein Schlusswort. Ein Plädoyer für Kreativität, für das Erforschen neuer Wege, durch die gesellschaftlichen Hindernissen begegnet werden kann, die zunächst unüberwindbar scheinen. Unwichtig ist, worin die oder der Einzelne sich entfaltet. Aber es braucht den Mut, es zu tun. „Creativity is a muscle, so if you understand the nature of it and you exercise it, then it can work for you.”

SHABAKA (Foto: David Višnjić)
SHABAKA (Foto: David Višnjić)

Ein Ratschlag, der mit seiner Klarheit der omnipräsenten Verwirrung entgegensteht. Und Künstlertum, ganz unglamourös und ohne Schwurbelei, mit kontinuierlichem Ausdauertraining verbindet. Kreativität nun als die Lösung für globale Krisen auszurufen, käme zwar völliger Verblendung gleich. Und dennoch eröffnet das Donaufestival an seinem ersten Wochenende musikalische, theoretische, performative Perspektiven, die mehr ermöglichen als die bloße Realitätsflucht oder gar -verweigerung: Eine ästhetisch und inhaltlich wertvolle Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Gegenwart, verwirrt und doch mit Durchblick.

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