Der elektronische Pop der New Yorker Berliner:in Neva Demure schnappt sich das Beste aus EDM-Mainstream und Hyperpop und unterzieht es einer transformativen Behandlung, die alles Gefällige und knallig Oberflächliche aus der Musik herauszieht. Ein musikalischer Übergang, der die anonymen, immer ähnlichen Preset-Sounds und Stimmungen zu etwas Persönlichem, Nahbaren und Intimen macht. Antidote (Movement Records, 11. April) ist ein Album aus den Schmerzen wie dem Glück einer Trans-Erfahrung. Hyperspezifisch und doch allgemein verständlich für alle, einfach so wie große Popmusik es immer schon war – und sein sollte.
Als Ex Wiish war der New Yorker Ben Shirken in den undergroundig-überlappenden Grenzregionen von Hyperpop und Sample/Klang-Collage unterwegs. Unter seinem Eigennamen bleibt dieser Freestyle-Ansatz erhalten, nur eben inwendig gedreht, ins Persönliche, was auf H.D. Reliquary (29 Speedway, 11. April) eben bedeutet: zu Ambient und flächigen Synthesizerklängen. Diese sind aber wiederum von verwaschenen Samples unterwandert, von digitalen Glitches und Arcade-Game-Sounds aufgescheucht, von analogen Umweltgeräuschen durchzogen und grummelnden Sub-Bässen beunruhigt.
Mika Hallbäck aus Malmö hat sich bislang selten auf ein Genre oder einen Stil festlegen wollen und genau damit nicht wenige jüngere Techno-, Minimal- und Experimentalelektronik-Klassiker geschaffen. Wiedererkennbar waren seine Projekte durch eine gewisse kühle Derbheit, eine hörbar verfeinerte, aber jederzeit zupackende Düsternis, speziell mit seinem bekanntesten Alias Rivet. Dass diese polarkreisnächtliche Härte auf Peck Glamour (Editions Mego, 21. März) beinahe vollständig verschwunden ist, stattdessen von allen Konventionen befreite Electronica und dröhnender Ambient vorherrschen, war beinahe naheliegend. Nicht mehr ganz so kalte Musik, aber kühl genug für wärmer werdende Sommer.
Andrea Ottomani, ein in Londoner ansässiger Producer aus Italien, konnte als Big Hands einen hochinteressanten wie funktionalen Sound etablieren, der auf House, Techno und Neunziger-Electronica referiert, ohne länger in den jeweiligen Genres zu verweilen. Ottomanis jüngstes Album Thauma (Marionette, 11. April) scheint der bisherige Kulminationspunkt dieser Entwicklung zu sein. Die Beats kommen und gehen, bewegen sich zwischen balearisch entspannter Sundowner-Groovyness und hibbeliger Holztechno-Verstrahlung. Sowieso liegen im Kern der Stücke ein organisch akustisches Klöppeln von Perkussion, Glocken, Balafon. Ob das nun zu elektronischer Tanzmusik aus dem Geiste von Fusion-Jazz wird oder umgekehrt freie Improvisation, die sicher in einen soliden Groove findet – in jedem Fall sind es Sounds von jemandem, der genau weiß, was er will und was er kann. Die Souveränität dieser Stücke ist durchwegs phänomenal.
Der Kanadier T. Gowdy versteht Electronica als radikal grenzüberschreitende Musik. Auf Trill Scan (Constellation, 14. März) etwa als Konfrontation und Zusammenfluss kinematisch erzählender Analogsynthesizer mit der Tonalität mittelalterlicher europäischer Lauten und den indigenen Traditionen seiner Heimat. Das ist sowohl von den Ingredienzien wie vom alchemistisch zusammengeworfenen und transmogrifizierten Ende her gesehen völlig ergebnisoffen und kann in rhythmisiertem Ambient enden. Oder in shoegazigen Indie-Pop-Songs.