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DJ Flounce (Tendersesh) – GROOVE Resident Podcast 63

Vergleicht man die aktuelle Partylandschaft mit der von vor ein paar Jahren, fällt nicht nur auf, dass sich die Musik geändert hat. Auch die Einstellung vieler Raver:innen zum Rausch ist heute oft eine andere: Konsum und seine Konsequenzen werden kritischer hinterfragt, und wo nüchternes Feiern früher noch als exotische Praxis galt, bildet sich langsam, aber sicher eine Kultur dafür heraus.

DJ Flounce gestaltet diese in Berlin aktiv mit. Mit ihrer Partyreihe Tendersesh bietet sie an unterschiedlichen Orten temporäre Begegnungsorte für eine nüchterne sowie musikalisch anspruchsvolle Crowd. Wie das idealerweise klingt, welche Schwierigkeiten dabei auftreten und wie ihr eigener Weg zur Veranstalterin einer Sober-Party aussah, hat sie uns im Interview erzählt.

GROOVE: Wieso hast du Tendersesh ins Leben gerufen?

DJ Flounce: Das hat sich aus meiner eigenen Reise ergeben. Ich bin selbst Anfang des letzten Jahres sober geworden. Dafür war ich in vielen Selbsthilfegruppen, und in fast jeder Sitzung habe ich gemerkt, dass die Leute extrem einsam waren. Das waren immer Gruppen für Leute aus dem Rave-Kontext, weil ich dazu den größten Bezug habe.

Kann man sich solche Gruppen gezielt suchen?

Das geht. Bei der Schwulenberatung gibt es welche für queere Menschen, in denen sich viele Raver:innen finden – im Gegensatz zu NA [Narcotics Anonymous, d.Red.] oder AA [Anonyme Alkoholiker, d. Red.]. Obwohl auch die sehr unterschiedlich besetzt sein können.

Woher kam die Einsamkeit?

Viele finden Community in Clubs und beim Raven. Wenn sie das nicht mehr tun, werden sie oft einsam. Deshalb wollte ich es mit Tendersesh einfach mal versuchen. Ich hatte schon Erfahrung im Veranstalten gesammelt und erst mal eine Online-Umfrage gemacht, was Leute von einer Sober-Party überhaupt wollen. Ich hatte ja keine Ahnung: Soll das nachts sein oder tagsüber? Welche Musik? Welche Drinks? Braucht es ruhige Ecken? Aus den Ergebnissen der Umfrage habe ich dann die Tendersesh gebaut.

Wo veranstaltest du die Tendersesh jetzt?

Die erste Ausgabe war im Aktionshaus, dem ehemaligen Greenhouse. Das wurde anschließend renoviert und umgebaut. Seitdem ist es schwierig, eine Heimat für die Party zu finden. Viele Clubs sagen dir sofort, dass ohne Barumsatz nichts geht. Zuletzt hatten wir eine Ausgabe bei THF Radio und eine im Giri an der Hermannstraße. Dort gibt es samstags ein Format namens Breakfast Club, wo Kollektive veranstalten können. Vielleicht haben wir damit unser Zuhause gefunden.

Wie viele Leute waren auf der Party?

Wir hatten keinen Klicker, aber es war definitiv voll. Die Location ist aber auch klein, ähnlich wie Zur Klappe. Voll, aber noch bequem ist es da wohl mit so 100, 120 Leuten.

Wie schwer war es im hedonistischen, konsumfreudigen Berlin, so ein Veranstaltungsformat aufzuziehen?

Die ersten Partys waren nicht ganz so voll, aber das ist am Anfang ja oft so. Aber ich habe das Gefühl, dass Sober-Partys insgesamt populärer werden. Raver:innen scheinen inzwischen mehr über ihren Konsum nachzudenken – und darüber, wie sie ausgehen.

Nicht nur wegen des Panels von Sober Nightlife und der Clubcommission im Januar habe ich auch den Eindruck, dass Sober-Raving ein größeres Ding ist als noch vor fünf Jahren. Wie erklärst du dir, dass das Thema immer größer wird?

Ich kann das nur aus meiner Perspektive beurteilen: Es geht nicht mehr, drei Tage lang auszugehen, nicht zu schlafen und viel zu konsumieren. Ich bin 38 und habe in meinem Leben viel gefeiert, und irgendwann bist du dafür einfach zu fertig. Auch die mentale Gesundheit leidet darunter. Auf der Tendersesh sind aber auch jüngere Leute, zwischen 20 und 25. Das Publikum ist insgesamt sehr gemischt.

Jüngeren Leuten wird ohnehin nachgesagt, ein ganz anderes Bewusstsein bezüglich Konsum entwickelt zu haben, insbesondere von Alkohol. Das merke ich in meiner Altersgruppe, ich bin 30, nicht so wirklich.

Auch in meinem Umfeld feiern viele Leute noch exzessiv.

Wie könnte ein bewussterer Konsum aussehen? 

Anstatt sechs Sachen vielleicht nur eine zu konsumieren. (lacht) Ich bin der Meinung, dass der Mischkonsum viele Leute kaputt macht. Der führt zu Abstürzen. Das ist für mich kein bewusstes Feiern. Das ist eher alles reinschmeißen und gucken, was passiert.

Mir kommt es teilweise so vor, als sei Clubmusik in Berlin manchmal eher ein Vorwand, um sich wegzuhacken. Sober-Raves stellen da zwangsweise ein Gegenprogramm dar. Würdest du sagen, dass die Leute auf einer Tendersesh die Musik intensiver wahrnehmen?

Schon, besonders bei der letzten im Giri. Die fing mit einem Ambient- und Dub-Set an, dann kam ein Live-Set. Alle haben sich dafür hingesetzt und aufmerksam zugehört. Danach spielten Ghostpoet und Camilla Rae Dance Music, und es ging richtig ab. Die Leute sahen richtig glücklich aus.

Wo liegen für dich die größten Unterschiede zwischen herkömmlichen und Sober-Partys?

Schwierig zu sagen, weil Dancefloors aus der Ferne eigentlich immer ähnlich aussehen. Für mich persönlich sind es wahrscheinlich die Gespräche, die sich am stärksten unterscheiden. Man führt keine Gespräche, auf die man keine Lust hat oder die völlig uninteressant sind. Es gibt einen Unterschied dazwischen, ob ich auf einen nicht-nüchternen Rave gehe und mich jemand volllabert oder ob ich auf einem Sober-Rave ein normales, interessantes Gespräch führe. Das ist aber vom Standpunkt einer nüchternen Person aus gesagt. Wenn ich breit wäre, wäre das andere Gespräch wahrscheinlich sehr interessant.

Ihr habt auf dem Panel im Januar auch drüber gesprochen, wie man Sober-Partys oder reguläre Clubs für nüchterne Menschen attraktiver machen könnte. Welche Verbesserungsvorschläge hast du?

Die größte Verbesserungsmöglichkeit sind wahrscheinlich die Getränke. Manchmal gibt es nicht mal alkoholfreies Bier. Obwohl alkoholfreies Bier in der Sober-Kultur eh umstritten ist.

Wieso?

Manche kommen frisch aus einer Sucht und werden vom Geschmack getriggert. Für manche ist es aber der beste Ally beim Feiern. Das ist fifty-fifty, denke ich. Im Giri finde ich zum Beispiel gut, dass sie eine alkoholfreie Cocktailkarte haben. Die können sich das auch eher leisten, weil sie eine Bar und kein großer Club sind. Die haben sechs Cocktails, die sechs, sieben Euro kosten. Das Berghain hat beispielsweise auch No-Gin-Tonics, aber viele bieten so was nicht an. Als Nüchterne bleibst du eh nicht so lange im Club, willst dann aber wenigstens ein gutes Angebot.

Wie lang feierst du denn nüchtern?

Anfangs lag mein Rekord bei 45 Minuten. (lacht) Ich musste mich langsam rantasten.

Seit wann bist du nun nüchtern? Ich will nicht clean sagen, weil das irgendwie falsch klingt.

Das war immer ein Streitpunkt in Therapiesitzungen. Damit sagst du ja, dass Leute, die Drogen nehmen, dreckig sind. Und das sind sie nicht!

Wie hart waren die ersten Male nüchtern im Club? Was hat dich zum Gehen bewegt?

In den ersten drei Monaten habe ich gemerkt, dass Socializing ohne Alkohol total müde macht. Ein bisschen tanzen war ok, aber mit Leuten zu reden, ist anstrengend. Zur Nüchternheit: Ich hatte therapeutische Unterstützung, bei der ich zweimal die Woche war.

Wie geht’s dir jetzt?

Gut. Ich bin 15 Monate nüchtern. In der Zeit habe ich mich verändert.

Wie sehr vermisst du deine ausschweifenden Zeiten?

Ich weiß nicht, ob ich sie vermisse. Diese Phase in meinem Leben war wichtig und gut, und ich bereue sie nicht. Aber ich will nicht wieder zurück. Es ist gut, wie es war, und ich habe viel über mich und die Welt gelernt. Natürlich blickt man zurück und sieht eine sorglose Zeit: Drei Tage feiern gehen, kein Problem, alles gut. Aber wenn man ehrlich zu sich ist, war vieles auch anstrengend. Ich werde vielleicht irgendwann mal wieder auf ein Festival gehen und dort nicht komplett nüchtern sein. Für jeden läuft die Reise anders. Meine Therapeutin würde umfallen, aber viele sagen, dass Nüchternheit ein Spektrum ist: Es gibt Leute, die machen Microdosing oder trinken nur oder nehmen nur Drogen. Das ist unterschiedlich. Und ich will auf keinen Fall das Postergirl für Nüchternheit sein. (lacht)

Nüchternheit wird automatisch mit Einsamkeit, zum Beispiel einem Abend im eigenen Zimmer, verbunden. Nach dem Motto: Wenn ich ausgehe, trinke ich auch.

Das wollte ich mit Tendersesh ändern, ein wenig Leichtigkeit und Spaß reinbringen. Für viele macht Konsum einen großen Teil ihrer Identität aus, Nüchternheit bedeutet hingegen Zwang. Das führt zur Frage: Wer bin ich überhaupt?

Welche musikalische Ausrichtung hat Tendersesh?

Ich wollte, dass der Fokus auf der Musik liegt. Laut der Umfrage zur Party wollte das Publikum vor allem House, Techno und Bass. Deswegen mache ich nun von allem ein bisschen. (lacht) Ich versuche es aber so einzurichten, dass sich ein Flow ergibt.

Was hast du dir bei deinem Mix gedacht?

Ich wollte die Energie von Tendersesh transportieren, den Spaß, die Freude und die Intensität, mit der man nüchtern feiern kann. Und die breite musikalische Spanne der Party. Deswegen habe ich mit House angefangen und mit Bass aufgehört. Was sonst alles dazwischen liegt, muss man beim Anhören herausfinden. Ein ganz großes Dankeschön an Esposito, der den Mix getweakt hat!

Tracklist:

Kerri Chandler – Hallelujah (Kaoz Club Mix)
Interplanetary Criminal – Pain (All I Want)
Mike Huckaby – Sandcastle (The Culture Box Re Edit)
BBL Sound – BBS (Park End Refix)
Glimmerman – Step Mode (Sputnik One’s 2 Step Mode Rework)
Carré, Introspekt – Tilted (Introspekt Remix)
Danny Goliger – Say I Do
NIKS – Mimi’s Woo
Leonce – Alien Superstar (Leonce Remix)
JSPORT – Capoeira Drum
Breaka – Roundhouse
Maara – Big Whoops
Prizefight – Iguana
INVNT – ASÍ
T.NO – Me dê Amor
Prizefight & Trusted – Centipede
Elbarto – Episki
Carré & Addison Groove – Shapes in Real Life
Gent1e $oul & Rolex3k – Paladin
Lapgan – zameen is lava

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