TECHNO im Landesmuseum Zürich versucht, einen Überblick über die Technokultur der Schweiz zu geben. GROOVE-Autor Stephan Gilgenreiner führt in die Ausstellung ein, die an Vorgänger wie Electro. Von Kraftwerk bis Techno 2021 in Düsseldorf anknüpft, dabei aber allzu ehrfürchtiger Musealisierung aus dem Weg geht und stattdessen Lust macht, sich die Praktiken der Subkultur anzueignen.

Vor dem Landesmuseum Zürich empfängt die stählerne Tür aus dem Tresor in Berlin die Besucher:innen. Zigtausende willige Raver:innen betraten durch das verrostete Stahltor zwischen 1991 und 2006 die legendäre Kompressionskammer, um ihre Techno-Initiation zu empfangen. Die fand für viele in dieser Zeit in Berlin statt, weitergefeiert wurde auf der ganzen Welt, auch und ganz besonders in Zürich. Daran lässt die Ausstellung keinen Zweifel.

Wenn man die Räume des Museums betreten hat, steht man vor einem rekonstruierten Street-Parade-Wagen, der mit großen Plakaten und Bannern aus dem Jahre 1994 geschmückt ist. Damals, im zweiten Jahr der Street Parade, nahmen 40.000 Personen an dem Umzug teil. Damit sind wir mittendrin im Thema der Ausstellung: Die Technokultur der Schweiz, deren Brisanz eben auch in dem internationalen Netzwerk liegt, das sie ermöglicht hat.

In einen Prolog und fünf Kapitel gegliedert, zeigt die Ausstellung, wie rund um die Musik eine Jugendkultur mit komplexen sozialen, wirtschaftlichen und ästhetischen Dimensionen entstand: Eine Subkultur, die sich letztlich zu einer milliardenschweren Industrie entwickelte. Schon im Prolog wird ein vielschichtiges Bild der historischen und gesellschaftlichen Bedingungen entworfen, unter denen Techno Ende der Achtziger entstanden ist.

Das von Luca Tori geleitete Kurator:innen-Team, zu dem Joya Indermühle, Michael Kempf, Bjørn Schaeffner und Maxi Weibel gehören, führt in eine Zeit ein, die durch den Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft begriffen ist und in der elektronische Geräte und digitale Technologien allmählich den Alltag durchdringen.
DJs als mobile Klangpioniere
Eine Videoinstallation ruft prägende Ereignisse dieser Umbruchjahre in Erinnerung, von den Jugendunruhen in Zürich über die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl bis zum Fall der Berliner Mauer, und verknüpft sie mit den sozialen Spannungen der Zeit. Anhand der Städte Detroit, Berlin und Zürich zeigt die Ausstellung, wie sich in diesen Kontexten letztlich Techno formierte: Als widerständiger Klang afroamerikanischer Jugendlicher in Detroit, als Ausdruck der Aufbruchsstimmung im wiedervereinigten Berlin und als kulturelle Reaktion auf konservative Strukturen in Zürich.

Auf die Gegenwart greifen Beiträge von Künstler:innen, Forscher:innen und Kurator Bogomir Doringer vor, die verdeutlichen, wie Clubkultur auch heute noch politische Kraft entfalten kann; etwa im vom Krieg erschütterten Kyjiw oder im georgischen Tbilissi, wo queere Communitys in der Technoszene Zuflucht finden und Widerstand organisieren.

In den fünf darauffolgenden Abschnitten der Ausstellung, als DJ, MUSIC, SPACE, CLUB, STYLE betitelt, wird Techno thematisch aufgearbeitet: Die Ausstellung beginnt mit DJs in Detroit, deren experimenteller Umgang mit elektronischen Instrumenten wie Drum-Computern und Synthesizern den Grundstein für den mechanischen, futuristischen Sound des Genres legte. Eine interaktive Samplebar und Plattenkoffer machen die Rolle der DJs als mobile Klangpioniere greifbar.

Besonders sehenswert ist der inszenierte Plattenladen, in dem greifbar wird, wie Techno sich aus einer Fusion von Disco, Hip-Hop und elektronischem Pop entwickelte und sich in den Neunzigern in zahllose Subgenres auffächerte. Durch die Beschriftungen der einzelnen Platten, die den jeweiligen Klang, aber vor allem auch den Einfluss und die Relevanz beschreiben, lässt sich hier nicht nur diggen, sondern das eigene Musikwissen vertiefen. Auch frühe Ausgabe der GROOVE fallen einem hier in die Hände.

Eine Ecke weiter rückt die Ausstellung Spaces in den Fokus: Fotografien erzählen von der Aneignung urbaner Nischen, von illegalen Kellerpartys bis zu Mega-Raves, und von der Transformation der Clublandschaft durch gesetzliche Regulierung und Gentrifizierung. Auch Geheimadressen in Zürich wie das „Mikro” am Limmatplatz finden hier Erwähnung. Im Kapitel „Club” geht es um Community, Rausch, Awareness und Ökonomie. Nicht zuletzt der legendäre Gorilla aus dem Club Zukunft, der Mitte März seine Türen nach 20 Jahren ein letztes Mal öffnete, ist hier ausgestellt. Eine Videoarbeit von Bogomir Doringer eröffnet zudem neue Perspektiven auf Tanz als kollektives Phänomen.
Ein genuin tiefes Verständnis von Techno
Der letzte Abschnitt widmet sich dem visuellen Kosmos von Techno – Flyer-Design, Mode, Fotografie – und zeigt, wie sich die Szene zwischen Subkultur und High Fashion bewegt. Exponate von Labels wie Ottolinger oder Raf Simons und Arbeiten von Fotokünstler:innen wie Rita Palanikumar belegen, wie Techno längst über den Dancefloor hinaus stilprägend wirkt.

Die Relevanz der Aufarbeitung von Techno durch eine nationale Institution wie dem Landesmuseum wird zuletzt im Museumsshop deutlich. Dies mag sich merkwürdig anhören, entscheidend ist jedoch, dass das Museum aufgrund seiner eigenen wissenschaftlichen Standards und des großen Teams ein genuin tiefes Verständnis von Techno vermitteln kann.

Auch für Szeneinterne lässt sich hier viel lernen: Im Shop liegt eine Selektion an Büchern über elektronische Musik und Techno aus, die in regulären Buchläden schwer zu bekommen sind und auch in anderen Kontexten schwer auffindbar oder gar nicht erst bekannt sind. Hinzu kommt eine kurze und lange Version einer Musikgeschichte des Techno, die man sich kostenfrei auf Spotify anhören kann. Auch diese ist gut selektiert und erlaubt ein Kennenlernen der Ursprünge – oder ein Schwelgen in alten Zeiten.

Für elektronische Musik und ihre gesellschaftliche Anerkennung als Kunst- und Kulturform stellt diese Ausstellung einen enormen Erfolg dar. Nicht nur aufgrund der Tatsache, dass sich erstmals eines der wichtigsten Museen der Schweiz Techno annimmt; wie kaum eine andere Ausstellung bisher sammelt TECHNO nicht bloß Artefakte, sondern vermittelt, warum eine Existenz im Techno-Underground so reizvoll ist.

Techno erscheint hier nicht als Phänomen, das am Ende schon too big to fail ist, sondern führt in die Ursprünge des Genres und seine Verwobenheit in der Gesellschaft ein, die für manche mit einer magischen Nacht im Tresor in den Neunzigern angefangen hat und längst in ein „transnationales Miteinander” (Co-Kurator Bjørn Schaeffner) mündete.
Die Ausstellung ist bis zum 17. August im Landesmuseum Zürich zu sehen.