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Weather Festival 2016

EasyJet statt Jet-Set

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Fotos: Guillaume Murat (Vorschaubild) Gregor Wildermann (alle weiteren)

Es gibt Momente, wo sich grundsätzliche Fragen einfach aufdrängen. Selbst wenn sich dann erst zeigt, dass man bis zu diesem Zeitpunkt nie wirklich genau nach einer Definition gesucht hat. Was genau zeichnet ein Festival aus? Ist es eine besondere Location, das Line-Up in Kombination mit einem organisatorischen und visuellen Konzept? Ist es die Stimmung, die Vielfalt aus verschiedenen Erlebnissen?

Ich stehe Anfang Juni im Nord-Osten von Paris vor dem Eingang eines ehemaligen Flughafens. Als Peter Lindbergh den Atlantik überquerte, landete er hier in Le Bourget. Die klassizistische Eingangshalle des alten Flughafengebäudes lässt erahnen, weil exklusives Erlebnis Flugreisen im letzten Jahrtausend noch waren. Jetzt beherbergt das Gelände ein Flugzeugmuseum, unter anderem den Prototypen und eine Serienmaschine der Concorde, die als Überschalljet zur Ikone des Lebens im Jet-Set wurde. Der Flug an einen anderen Ort ist mittlerweile zur Gewohnheit geworden, der Jet-Set wich dem EasyJet-Tourismus. Und deswegen wieder die Frage: Sollte dann der Ort und das Line-Up eines Festivals nicht trotzdem ein besonderes Erlebnis versprechen?

Frühling, angeblich: Die Printemps-Stage.
Frühling, angeblich: Die Printemps-Stage.

Das dreitätige Weather-Festival trägt den Namen des alten Flughafens im Programm, doch sind die Raketen und Flugzeuge nur in einiger Entfernung und hinter einem Gitterzaun sichtbar. Der eigentliche Ort ist der „Parc des Expositions“, ein benachbartes Messegelände mit Großraumhallen und Außengelände, das so weitläufig ist, dass man sich schon nach einer ersten Begehung ein Fahrrad wünscht. Warum fliege ich in eine andere Stadt, um dann in einer nackten anonymen Halle zu stehen? Die einzelnen Floors sind nach Jahreszeiten benannt, lassen aber kaum entsprechende Deko erkennen und könnten genauso gut auch nach den Vornamen der Köche im Cateringzelt getauft worden sein. Der graue Himmel und Temperaturen von 15 Grad stehen im Kontrast zu den Farben der Cocktail-Schirmchen in Plastikbechern, die alles andere als billig daherkommen. Die Anlagen und Boxen sind knackig gut und knüppellaut – vielleicht eben etwas zu laut, denn man wagt kaum, sich den Bühnen mehr als 20 Meter zu nähern. Vielleicht die Halle wechseln? Mir fehlen die Gründe, denn wann immer ich woanders hinlaufe, wechseln nur die Gesichter, aber nicht der Sound. 100 verschiedene DJs und trotzdem wirkt es austauschbar. Techno, Techno und dann wieder Techno. Sollte es nicht ein Hip-Hop-Set von Robert Hood geben?

Wenn das Festival zur Musikmesse wird: Die Weather City.
Wenn das Festival zur Musikmesse wird: Die Weather City.

Der House-Floor liegt im hintersten Open-Air-Geländeteil, wurde aber in Red Bull-Dosenwurfweite zu einer Trance-Area und dem „Ambientfloor“ (einige Liegestühle und Steh-Pissoirs) gelegt. Nahezu alle französischen DJs müssen sich mit den frühen Slots zufrieden geben und zu den Mittagszeiten herrscht selbst am Samstag oder Sonntag noch so viel Leerraum, dass die French Open mit reingepasst hätten. Im Außenbereich finden sich ein überdachter Bereich namens „Weather City“, in dem DJ-und Labelsoftware vorgeführt wird und der eher an eine Musikmesse erinnert. Vielleicht erst mal wieder sitzen und etwas die Augen zumachen? Ich denke wieder über den Sinn von Festivals in einem Industriegebiet nach und wünsche mir, der alte Flughafen wäre jetzt für einen Heimflug noch geöffnet. Ich höre das Set von Ricardo Villalobos, doch nach etwas mehr als einer Stunde Mitwippen wechselt das Programm wieder. Das alles könnte irgendwie oder irgendwo anders stattfinden. Zeit und Ort sind es leider nicht wert und für vereinzelte Acts wie Venetian Snares könnte man auch in deren Heimatland reisen. Für mich sind alle Fragen beantwortet und Paris-Orly am anderen Ende der Stadt mein neuer Lieblingsflughafen.

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