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NACHRUF Dieter Moebius (1944-2015)

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Text: Arno Raffeiner, Foto: Mark Pilkington

 

Es pluckert weiter: zum Tod von Dieter Moebius

 

Er lebte immer noch in seinem Haus am Fluss in Forst. „By The River“, wie es in einem Song von Brian Eno heißt, der 1977 an diesem sagenumwobenen Ort entstand. Dieter Moebius war einige Jahre zuvor dort hingezogen, von der BRD-Insel West-Berlin ins Weserbergland, seine Nachbarn hießen Michael Rother und Hans-Joachim Roedelius, zentrale Akteure des Krautrock und der frühen elektronischen Musik in Deutschland, die mit unerhört freien Zwitscherklängen so berühmte Gäste und Bewunderer wie eben den Bowie-Produzenten Eno in die tiefe deutsche Provinz lockten.

Harmonia, das gemeinsame Projekt von Moebius, Roedelius und Rother, sei die „wichtigste Rockband der Welt“, soll Eno damals gesagt haben. Im Rückblick wundert man sich weniger über die immense Bedeutung, die dieser in kommerzieller Hinsicht immens unbedeutenden Musik in bestimmten Kreisen schon damals beigemessen wurde, als vielmehr über den hilflosen Gebrauch des Wortes „Rock“. Aber was da im deutschen Pop-Hinterland passierte, war mit der überkommenen Musikterminologie noch nicht so recht zu fassen.

Wenn Harmonia die wichtigste Rockband der Welt waren, dann war Dieter Moebius der Forrest Gump der elektronischen Musik. Er war nie der Mann im Vordergrund, aber immer an neuralgischen Punkten präsent, an denen Musikgeschichte geschrieben wurde: mit seinen Nachbarn in Forst, bei Conny Plank in dessen Studio im Süden von Köln, mit Conrad Schnitzler im Zodiac Free Arts Lab in Berlin.

Dort begann Ende der Sechzigerjahre Dieter Moebius’ Karriere. In studentenbewegten Zeiten studierte der 1944 in St. Gallen geborene Deutsch-Schweizer an der Staatlichen Akademie für Grafik, Druck und Werbung. (Später gestaltete er das Artwork zahlreicher seiner Platten, etwa die ikonische Weichspüler-Pop-Art auf dem Cover des ersten Harmonia-Albums.)

Im Zodiac-Umfeld lernte er Schnitzler und Roedelius kennen und gründete mit ihnen die Band Kluster. Der erste Auftritt in einer Berliner Galerie geriet zu einer zwölf Stunden langen Session. Wenig später wurden die ersten beiden Kluster-Alben in nur einer Nacht aufgenommen. Improvisation bestimmte Moebius’ Schaffen von Anfang an und prägte seine Musik durch seine gesamte Karriere hindurch.

Frühe kreative Impulse hatte er durch seine Mutter bekommen, die Pianistin war, etwas später durch seine Begeisterung für Jazz, dann durch den Rock’n’Roll von Chuck Berry und die Monotonie und die Feedbacks von The Velvet Underground. Moebius begann als Saxofonist, bei Kluster wurde zunächst Schlagzeug sein Instrument, später suchte er die Mittel seiner Wahl nach einem simplen Grundsatz aus: Hauptsache einfach, Hauptsache billig und vor allem: nie die Bedienungsanleitung lesen!

Beinahe endlos ist die Liste der Künstler, mit denen Moebius an seinen immer wieder neu angeschafften Zwitscher- und Pluckermaschinen zusammengearbeitet hat. Mani Neumaier von Guru Guru und Jürgen Engler von Die Krupps waren darunter, Avantgardemusiker wie Asmus Tietchens oder zuletzt die jungen Krautrock-Wiedergänger der Berliner Band Camera, seine Musik wurde von Dance-Produzenten wie Prins Thomas oder Ricardo Villalobos remixt, die längste und fruchtbarste Zusammenarbeit blieb allerdings jene mit Hans-Joachim Roedelius.

 

cluster

 

Bis ins Jahr 2010 waren sie (ohne Conrad Schnitzler, der nach den ersten beiden Alben ausgestiegen war) als Cluster aktiv, Roedelius macht seither in neuer Besetzung unter dem zum zweiten Mal leicht variierten Namen Qluster weiter. In einem (mittlerweile online nicht mehr abrufbaren) langen Text beklagte Roedelius nun mit einiger Bitterkeit das Zerwürfnis der beiden – und postete an anderer Stelle kommentarlos ein gemeinsames Stück: „In Ewigkeit“ vom Cluster-Album Sowiesoso aus dem Jahr 1976.

2007 hatten sie mit der wichtigste Rockband der Welt zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder ein gemeinsames Konzert gespielt. Moebius stand über einen Tisch gebeugt, vor ihm überraschend wenige, überraschend kleine elektronische Kisten. Das in der Luft hängende Geschmäckle, der Harmonia-Auftritt im Berliner HKW könne zu einem nostalgischen Altherrenstammtisch werden, vertrieb er, Hans-Joachim Roedelius und Michael Rother an seiner Seite, mit seiner althergebrachten künstlerischen Haltung: immer wieder neu, immer weiter pluckern.

So hielt Dieter Moebius es ein Leben lang, bis zum 20. Juli 2015. Im Alter von 71 Jahren ist er von uns gegangen. Auf seiner Webseite pluckert es weiter.

 


Stream: ClusterIn Ewigkeit

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