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ÂME „Wir wollten den Kampf!“ (Teil zwei)

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Text: Thilo Schneider, Fotos: Michael Mann
Erstmals erschienen in Groove 134 (Januar/Februar 2012)

Zum ersten Teil des Interviews

Wann habt ihr gemerkt, dass euer Osunlade-Remix so durch die Decke geht?

Beyer: Gleich als Frank ihn das erste Mal gespielt hat. Wenn du etwas spielst, das die Leute noch nie gehört haben, und die schon bei den ersten Tönen durchdrehen, dann weiß man: Okay, jetzt hat die Stunde geschlagen!

 


Stream: OsunladeEnvision (Âme Remix)

 

Wie findet ihr nach so einem Hit die Balance zwischen Erwartungshaltung und musikalischer Weiterentwicklung?

Beyer: Wir haben damals nach dem Erfolg von „Rej“ schon erst mal gegengesteuert. Wenn man eine längere Zeit bei dem Ganzen dabeibleiben und auch noch respektiert werden möchte, dann bleibt einem gar keine andere Wahl. Es gibt genügend Beispiele, was passiert, wenn man auf nur einer Schiene weiterfährt. Das geht erst mal gut – und irgendwann ist man dann weg vom Fenster.

Wiedemann: Das war aber kein Plan von uns, wir dachten nur, dass es besser ist, mit etwas Neuem zu kommen. Ich glaube, dass wir in den vergangenen Jahren viele Stücke gemacht haben, die gar nicht so schlecht sind, die aber eine Zeit gebraucht haben, um bei den Leuten anzukommen. Wenn ich zum Beispiel unser zwei Jahre altes Stück „Junggesellenmaschine“ in der Panorama Bar höre und sehe, wie die Leute immer noch dazu durchdrehen, gibt mir das ein Hammergefühl. Ich höre ja jetzt schon wieder, dass die Leute unseren Osunlade-Mix nicht mehr hören können.

Beyer: „Shades Of Overplay Jay“!

Wiedemann: Natürlich ist das erst einmal toll, aber mir ist es wichtiger, Stücke zu machen, die auf lange Sicht Substanz haben.

Beyer: „Junggesellenmaschine“ war unsere persönlichste Platte.

 


Stream: ÂmeJunggesellenmaschine

 

Wie definierst du in diesem Zusammenhang „persönlich“?

Beyer: Es war genau das, was wir zu dieser Zeit machen wollten. Und wir wollten auch den Kampf! Weil das bei uns immer auch ein Prozess ist. Wir sind zwei Menschen, und da muss auch von beiden etwas drin sein. Wenn man solche Idole nimmt wie Ron Trent und Chez Damier, da muss man auch sagen: Zusammen haben sie die beste Musik gemacht. Einzeln? Akzeptable vielleicht. Ich habe aber ganz häufig Probleme, unsere Sachen überhaupt zu spielen.

Es scheint momentan nur zwei Veröffentlichungsstrategien zu geben. Entweder, man macht sich extrem rar und bringt nur ein, zwei Singles pro Jahr heraus, oder man feuert im Zweiwochen-Rhythmus Remixe und so weiter raus.

Wiedemann: Es gibt eine riesige Flut an Veröffentlichungen, da geht eine einzelne Single schnell mal unter. Auch bei unserem Label. Wir bringen ja auch nicht 15 Platten im Jahr heraus, sondern nur sechs oder sieben. Lieber zufrieden sein mit dem, was man macht, und nicht aus Selbstzweck veröffentlichen.

Euer Label Innervisions hat einen recht überschaubaren Künstlerstamm. Gibt es für einen Außenstehenden überhaupt eine Chance, bei euch unterzukommen?

Beyer: Natürlich! Es ist nicht so, dass wir sagen, wir möchten niemanden haben. Wenn man aber nur sechs Veröffentlichungen pro Jahr macht, und da die Hauskünstler abzieht, dann bleiben nur noch ein, zwei Veröffentlichungen für jemand Außenstehenden. Es gab auch eine Zeit, wo die Leute, die wir interessant fanden, uns nichts schicken wollten. Aber auf jeden Fall hören wir uns auch andere Sachen an, und wenn wir etwas finden, wie zum Beispiel jetzt das Agoria-Stück, nehmen wir das gern.

Ihr betreibt Innervisions zu dritt, zusammen mit Dixon. Wie läuft der Entscheidungsprozess bei euch ab?

Beyer: Wir hören uns Sachen einzeln, aber auch zusammen an. Das war für uns einer der Gründe, nach Berlin zu ziehen: um das Label zusammenzubringen.

Euer Gang in den Selbstvertrieb hat dieses Jahr für viele Diskussionen gesorgt. Ihr bietet eure Vinyl-Veröffentlichungen jetzt vier Wochen exklusiv in eurem eigenen Webstore Muting The Noise an, bevor sie auch digital erhältlich sind.

Beyer: Wir sind nicht von Word And Sound weggegangen, weil wir unzufrieden waren. Die Zeiten haben sich geändert. Ich würde auch nicht sagen, dass sie schlechter sind, aber man muss darauf reagieren. Wir haben mit unserem Webshop gesehen, was passiert, wenn man Platten exklusiv anbietet und von der Herstellung bis zum Verkauf alles in der eigenen Hand hat. Wenn man bei einem Vertrieb ist und meinetwegen 1.200 Platten pressen lässt, Wert auf gutes Mastering und ein hochwertiges Cover legt, kommt man am Ende gerade so bei null raus. Und so viel muss man erst mal verkaufen! Vinyl ist ja heute keine Notwendigkeit mehr, die Leute besorgen sich Musik auf welchem Medium auch immer. Um Leute dazu zu bringen, eine Schallplatte zu kaufen, muss man schon was bieten. Und das ist natürlich mit einem Vertrieb, der daran interessiert ist, das Ganze möglichst kostengünstig zu halten, schwer zu realisieren. Selbst wenn man einen kleinen Hit hat, kommt am Ende nichts raus. Aber wenn man mal 500 Platten im Eigenvertrieb macht, verdient man auf einmal Geld. Da fragt man sich dann schon, ob man das Label immer nur bezuschussen möchte. Wir sind natürlich in einer guten Position, kleinere Labels dürften es schwerer haben. Vielleicht gibt es demnächst neue Vertriebsnetzwerke, ich weiß es nicht. Wir sind erst mal sehr zufrieden damit, wie es läuft.

Der Kontakt zu den Kunden ist ein anderer. Wie war das Feedback bisher?

Beyer: Positiv wie negativ. Das Negative kam aber genau von den Leuten, von denen wir es erwartet haben: nämlich genau denen, die immer noch rumsitzen und jammern. Andere kamen auf uns zu und meinten, dass sie auch in diese Richtung gehen werden.

Wiedemann: Klar ist aber auch, dass der eine oder andere Plattenladen leidet, wenn man die klassischen Vertriebsstrukturen verlässt. Wenn das jetzt alle Labels machen würden, gäbe es bald nur noch fünf Plattenläden auf der Welt.

Welche Plattenläden beliefert ihr denn noch?

Beyer: Wenn uns ein Plattenladen anschreibt, beliefern wir ihn auch. Ob das Rush Hour, Fat Plastics, Hard Wax oder Rotation ist. Berlin ist eine Stadt, in der Vinylkultur noch gelebt wird. Aber woanders passiert es einem schon häufiger mal, dass man vor verstaubten Plattenspielern steht, um die sich seit fünf Jahren keiner mehr gekümmert hat.

Für einen Webshop-Vinylkäufer bietet euer Laden noch eine recht überschaubare Auswahl an.

Wiedemann: Keine Frage, wenn jemand bei Rush Hour bestellt, kauft er vielleicht zehn Platten, bei uns wird es, wenn er nur eine will, natürlich teurer mit dem Porto. Deshalb nehmen wir auch andere Platten und Modesachen in den Laden mit auf. Früher hat man als Musiker erst einmal ein Label finden müssen, das die eigenen Sachen herausbringt. Das Label musste dafür einen Vertrieb finden, dann musste der Vertrieb an einen Plattenladen verkaufen, und am Schluss der Plattenladen an den Endkonsumenten. Heute ist es so, dass jeder sagen kann: Ich mache mein eigenes MP3-Label, verkaufe die Sachen auf Beatport, und dann sind sie draußen.

Beyer: Da musst du aber auch erst mal bei Beatport reinkommen. Da ist wenigstens noch ein Filter.

Wiedemann: Es gibt also kaum noch eine Kontrollinstanz.

Beyer: Das ist die Demokratisierung des Marktes!

Wiedemann: Ich sage ja nicht, dass das schlecht ist. Aber manche Leute haben ein Problem damit, noch Platten zu finden. Das ist auch ein Grund für uns gewesen, andere Platten in unseren Shop mit aufzunehmen. Wir sind einfach der Filter, der dir die nach unseren Kriterien zehn besten Platten empfiehlt.

Hängt ihr selbst noch an physischen Medien?

Beyer: Ja, ich habe da immer noch einen Fetisch. Nicht nur mit Platten, sondern auch mit CDs und DVDs. Ich muss die einfach besitzen.

Wiedemann: Ich bin froh, dass ich mir inzwischen auf iTunes Filme ausleihen kann und die nicht noch auf meiner Festplatte speichern muss.

Beyer: Man sollte sich dem Fortschritt nicht verschließen, sondern überlegen, was notwendig ist. Man muss diesen ganzen Info-Overload auch kritisch sehen. Mein Vater, der sich mit Astrologie auseinandersetzt, hat gesagt, dass sich etwas in der Sternenkonstellation ändert und wir dadurch in ein neues Zeitalter gehen. Ich glaube, die Menschen werden gut!

ÂmeLive erscheint Anfang April 2012 bei Innervisions.

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