burger
burger

IBIZA Eine Insel feiert (sich selbst)

- Advertisement -
- Advertisement -

Text: Carlos de Brito & Jonas Gempp, Foto: Steven Straiton
Erstmals erschienen in GROOVE 132 (September/Oktober 2011)

Kein Urlaubsziel ist so eng mit elektronischer Musik und Clubkultur verbandelt wie Ibiza. Vom einstigen Aussteigerdomizil hat sich die Insel längst zu einem perfekt durchinszenierten Partyspektakel gewandelt. Aber der Mythos von damals liefert nach wie vor die identitätsstiftende Klammer und den kleinsten gemeinsamen Nenner für alte Hippies, junges Technoballermann-Volk und reiche Aussteiger. Wir waren 120 Stunden auf der Insel unterwegs – und sind dabei immer wieder auf neue Superlative, aber auch auf überraschend ruhige Refugien gestoßen.

Wir folgen einer Einladung des jüngst eröffneten Ushuaïa Ibiza Beach Hotels in Platja d’en Bossa auf Ibiza und erreichen die weiße Insel und ihren bekanntesten Strand an einem Donnerstagmorgen gegen 10 Uhr. Wir wollen einige Tage lang Nacht und Leben dort erfahren. Nachdem das Gepäck aufs Zimmer gebracht ist und wir das Resort verlassen haben, dauert es nur wenige Minuten, bis uns auf der Hauptstraße mit all ihren neonbunten Bars, Spar-Märkten und Touri-Kaschemmen ein junges deutsches Promoterpärchen eine Bootstour nach Formentera anbietet: Dodo und Björn versprechen uns feinsten House, Top-Electro, Flatrate-Saufen und richtig viel Spaß. Und um diesem unschlagbaren Angebot Nachdruck zu verleihen, verweisen sie darauf, dass bereits sowohl RTL als auch „X-Diaries“ auf RTL2 über das Partyboot berichtet hätten. Ein unvergesslicher Ausflug wie dieser würde ja wohl wie die Faust aufs  G r o o v e –  Auge passen! Der Freundschaftspreis extra für uns: 69 Euro.

Wir widerstehen der Verlockung, denn am Ankunftsabend soll Luciano im Innenhof unseres Hotels eine Bühne mit Festivalausmaß bespielen. Kaum vorstellbare fünftausend Menschen erwartet das Ushuaïa zur zweiwöchentlichen „Cadenza Vagabundos“-Party rund um die Hotelpool-Landschaft, die früh um 17 Uhr beginnt. Bereits um 20 Uhr ist es derart voll, dass sich unsere Skepsis in Erstaunen aufgelöst hat. Der Ushuaïa Beach Club fusionierte zu Beginn der Saison mit der Hotelkette Fiesta und entwickelte aus einem traditionsreichen Strandclub und einem Hotel eine edle, komplett renovierte Anlage für die solventere, reifere Raverschaft, die im Urlaub neben dem Partyabschuss nicht auf den Komfort eines Fünf-Sterne-Hotels verzichten mag. Drei bis fünf Mal die Woche trifft sich im Ushuaïa ein mythoshungriger Haufen, um sich am perfekt inszenierten Ereignis mit Pyro, durchchoreografiertem Gogo-Tanz und dazugehörendem Soundtrack zu delektieren. Luciano befindet sich momentan im ibizenkischen Aufstiegsuniversum zwischen Mainstream und Underground. So erklärt sich denn auch die Einschätzung unserer „Experience-Managerin“, die uns vor der Party mit dem Satz „Ihr wisst ja, dass Luciano durch das Ushuaïa berühmt geworden ist“ beeindruckt hatte.

Mainstream sind auf Ibiza dank ihrer Chartaufenthalte David Guetta, Armin van Buuren oder Tiësto. Der wahre Pop-Mainstream manifestiert sich dieses Jahr vor allem in den „I Want My MTV“-Partys und Auftritten von Usher, Snoop Dogg, Duran Duran, Kool & The Gang oder P. Diddy. Vor allem im Ibiza Rocks Hotel ist der Bruch mit dem elektronischen Inselkonsens Programm: Neben The Wombats, The Streets oder Mark Ronson treten dort sogar die Ska-Heroen Madness auf. Sie sollen auch den gitarrensozialisierten Technomuffel auf die Insel locken. Dass sich in diesem Laboratorium des perfekten Partykapitalismus – trotz der vermeintlich totalen Freiheit und des immer wieder beschworenen und in allen Gesprächen betonten „ganz speziellen Spirits“, also letztlich der ständigen Reproduktion des Mythos – immer wieder neue Verwertungsmöglichkeiten ergeben müssen, erklärt die Erschließung immer neuer Partykonzepte. Und die besagte Hinwendung zur Popmusik. Im Ushuaïa entsteht dadurch ein musikalisches Programm, das trotz Exklusivität und gelegentlichen Experimenten eher massenkompatibel bleibt. Von der Swedish House Mafia und Defected-Nächten über Pophelden wie Human League und Kool & The Gang bis zu Sasha (der mit Gästen wie Jamie Jones und Âme überrascht) oder besagter Cadenza-Nacht: Hier wollen eben bis zu fünftausend Leute unterhalten werden.

Während wir auf einer kurzen Führung durch die Hotelanlage die Suiten mit Himmelbetten, Lichttherapie-Vorrichtungen und doppeltürigen Durchreichen, um ein Maximum an Diskretion bei der privaten Afterparty zu gewährleisten, in Augenschein nehmen, freudig den ruhigen zweiten Pool des Hotels entdecken und uns von netten Details wie Eiscrushern auf den Gängen überraschen lassen, füllt sich der Bereich um den großen Pool. Die Präsentation von Solvenz, braungebrannter Haut und überhaupt optimierter Körper scheint essenziell. Ergo sollte man die Kreditkarte schon einigermaßen belasten können, um die angebotenen Wellness- und Shoppingmöglichkeiten, die angegliederten sehr guten Restaurants und die  h i g h  s p i r i t s  voll auskosten zu können. „Special Body Sushi“ in der VIP-Box oder auf dem Bali-Bett am Pool kostet übrigens tausend Euro. „The Hotel that never sleeps“ ist dabei nicht nur auf den 24-Stunden-rundum-Service gemünzt. Ab 10 Uhr morgens wird der Innenhof zunächst zurückhaltend, später druckvoller beschallt. Dazu kommen mehrmals in der Woche die riesigen Partys und Konzerte. Dann haben selbst die Flugzeuge, die über der Hotelanlage in der Ein- und Abflugschneise des nahe gelegenen Flughafens röhren, kaum eine Chance, gehört zu werden.

Weiter zu Teil zwei

In diesem Text

Weiterlesen

Features

TSVI: „Es muss nicht immer total verrückt sein”

Groove+ In Porträt verrät der Wahllondoner TSVI, wie sein einzigartiger Stilmix entsteht – und wie er als Anunaku Festival-Banger kredenzt.

Time-Warp-Macher Robin Ebinger und Frank Eichhorn: Die Musik auf anderen, subtilen Ebenen erfahrbar machen

Groove+ Die Time Warp ist die größte Indoor-Techno-Party Europas, demnächst feiert sie ihren 30. Geburtstag. Wir haben mit ihren Machern gesprochen.

James Blake und die neue Plattform Vault: Beschiss mit Ansage

James Blake warb zuletzt ungewohnt offensiv für die Plattform Vault, die das Geschäft mit der Musik revolutionieren soll. Wieso das nichts wird, lest ihr hier.